Hier liegt das Paradox: Glitch bewegt, blockiert aber auch. Glitch setzt
in Bewegung und erzeugt simultan ein Hindernis. Glitch verleitet und Glitch verhindert.
Damit wird der Glitch zu einem Katalysator, der neue Wege eröffnet, in neue Richtungen
weist. […] Glitch ist also etwas, das über die technologischen Funktionsweisen im
wörtlichen Sinn hinauswirkt: Es hilft uns, das Scheitern als generative Kraft hochleben
zu lassen, eine neue Art, die Welt in Angriff zu nehmen.
— Legacy Russell, Glitch Feminismus
Was, wenn ein vermeintlich stabiles System durch einen klitzekleinen Fehler ins Gleiten gerät, sogar entgleitet? Wenn durch Brüche, Risse und Verwerfungen bisherige Selbstverständlichkeiten und bestimmte Vorannahmen nicht nur entstellt, sondern auch klarer greifbar werden? Wenn durch Hervortreten sonst unsichtbarer Infrastrukturen unbeabsichtigt etwas Neues entsteht? Mit dem Jahresprogramm Glitch konzentriert sich der Kunstraum Lakeside 2025 auf die Potenziale temporärer und außerhalb der menschlichen Kontrolle liegenden Störungen. Kurzschlüsse, die unsere technologischen Apparate zunehmend produzieren, sind dabei nur ein Ausgangspunkt. Obstruktion steht im Vordergrund, gleichermaßen auf kunstimmanente wie auch auf gesellschaftliche Fragestellungen bezogen. Wir begreifen den Glitch als notwendige, ja willkommene soziale, technologische und kulturelle Unterbrechung des Alltags. Eine Unterbrechung, die der Gewalt des Gleichmachens entgegensteht und Vielfalt in Form dauerhafter Durchquerungen und Passagen zelebriert. Die für dieses Jahresprogramm ausgewählten Künstler*innen bewegen sich in diesem Kontext und erproben die Notwendigkeit von Fehlern, welche die Autorin Legacy Russell in Glitch Feminismus als „Zustand der Undurchsichtigkeit“* und als „unaufhörliches Schneiden und Nähen, Brechen und Heilen“** bezeichnet.
Maruša Sagadin etwa bearbeitet die Uneindeutigkeit von Raumkategorien und an sie geknüpfte Nutzungsformen. Sie schafft skulpturale Werke, die Räume sowohl akzentuieren als auch für verschiedenartige Nutzungen öffnen und auf diese Weise etablierte Codes unterwandern. Olena Newkryta zielt auf die Komplexität sozialer Gefüge sowie auf gemeinschaftliche Formen der Wissensproduktion ab und beschäftigt sich mit der Frage nach dem Potenzial der Störung, die latent in jeglichen Prozessen der Bild- und Wissensproduktion vorhanden ist. Unter dem Titel edging—bodies without orgasms kuratiert Michał Leszuk eine Gruppenausstellung, die das Jahresthema um künstlerische Positionen erweitert, die die Welt für eine queere Sprache öffnen und an den Rand der hegemonialen Vorherrschaft der Mehrheitsgesellschaft bringen. Jonas Morgenthaler untersucht anhand der von ihm geschaffenen und als solche bezeichneten xenobjects die Wirkkraft von ausgestellten Objekten auf narrative Systeme und unterminiert damit normative Erzählweisen. Seine Zielsetzung ist dabei, das Verbindende zwischen den Elementen nicht in der Sinnproduktion zu suchen, sondern im Bruch mit ebensolchen Prozessen. Über fehlerhafte Mechanismen der Wahrnehmung verweist Mara Novak auf globale Phänomene wie Gletscherschmelze, Biodiversitätsverlust und kognitive Dissonanzen im Hinblick auf die anthropogene Erderwärmung. Dabei drängt sich die Frage auf, ob nicht das vorherrschende Wirtschaftssystem ein Glitch im planetaren Gefüge ist.
* Legacy Russell, Glitch Feminismus, Übers. v. Ann Cotten u. a., Leipzig: Merve 2021, S. 71
** Russell, S. 74
Maruša Sagadin
Eröffnung, 4. Februar 2025, 18 Uhr
Ausstellung, 5. Februar – 21. März 2025
Olena Newkryta
Eröffnung, 8. April 2025, 18 Uhr
Ausstellung, 9. April – 23. Mai 2025
edging—bodies without orgasms | Kuratiert von Michał Leszuk
Eröffnung, 12. Juni 2025, 18 Uhr
Ausstellung, 13. Juni – 14. August 2025
Jonas Morgenthaler
Eröffnung, 23. September 2025, 18 Uhr
Ausstellung, 24. September – 7. November 2025
Mara Novak
Eröffnung, 25. November 2025, 18 Uhr
Ausstellung, 26. November 2025 – 16. Jänner 2026