Jonas Morgenthaler — Gap Gardening

Eröffnung, 23. September 2025, 18 Uhr
Ausstellung, 24. September – 7. November 2025

Reste von Holz und eine Dekorabdeckung, deren Oberfläche an Marmor erinnern soll, ein Engel aus Keramik, Kleiderbügel, Ledergürtel und Kunststoffschnallen, handelsübliche Holzjalousien, vermutlich von IKEA oder vom Baumarkt, gelbe Klebefolie, das laminierte Bild eines Schmetterlings, Glasperlen und Aluminiumketten, Haarspangen, Kerzen und ein Staubwedel.


Foto: Johannes Puch

It’s A Fine Day People Look Out Windows (2022) lautet der Titel einer der Skulpturen von Jonas Morgenthaler. So lapidar, wie das Objekt an der Wand des Kunstraum Lakeside hängt, könnte es als Spiegelung, als Gegenbild, als Kommentar auf das große Schaufenster gelesen werden, das den Ausstellungsraum so charakteristisch macht und das ihn mit dem Außenraum verbindet. Könnte, also „kann“ im Konjunktiv, in einer Verbform, die etwas nicht einfach als Tatsache in den Raum stellt und als unveränderliche Gegebenheit behauptet, sondern eine andere Wirklichkeitsebene einzieht: jene der Möglichkeit, des Wunsches, nicht zuletzt des bloßen Zitats. Mit einer Vielfalt an Materialien – gefundene Objekte etwa, Dinge zwischen Alltag und Popkultur, modifizierte Gebrauchsgegenstände, deren ursprünglicher Zweck nun nicht mehr als eine Erinnerung an eine Konvention ist – schafft der Künstler Werke, die bei den Betrachter*innen Assoziationsketten auslösen. Gedankensprünge, Bildfolgen und Verknüpfungen, die ähnlich zahllos sind wie die potenziellen Betrachter*innen selbst. Dafür setzt Morgenthaler Objekte mit anderen Objekten in eine räumliche Beziehung, teils miteinander korrespondierend, teils sich widersprechend, und fügt sie in bestehende Kontexte ein. Seine kleinformatigen Skulpturen schmiegen sich an die jeweiligen Umgebungen an, bleiben jedoch aufgrund ihrer eigenwilligen Zusammensetzung immer Fremdkörper.

Jonas Morgenthalers Praxis lässt sich im Bereich der Assemblage verorten. Es handelt sich dabei um dreidimensionale Collagen, dadaistische Anti-Kunst-Objekte aus dem fortschreitenden 21. Jahrhundert, die mit alltäglichen Materialien spielen, Bedeutungen neu kombinieren und vertraute Formen in überraschende Konstellationen überführen. Statt mit seinen Materialzusammenstellungen, den „xenobjects“, wie er sie nennt, auf eine konkrete Erzählung zu verweisen, untersucht der Künstler das Potenzial dieser kompilierten Dinge sowie ihre Auswirkungen auf narrative Systeme. Im Hinterfragen der Eigenschaften von Gegenständen, Bildern und der Art und Weise, wie wir mit ihnen im Alltag, aber auch in der Kunst umgehen, führt er ihren für einen vorgegebenen Zweck gestalteten Charakter vor. Morgenthaler bricht kontinuierlich mit dem, was die Queer-Theoretikerin Sara Ahmed als „straight lines“* bezeichnet: gesellschaftliche Orientierungen, die als selbstverständlich gelten und Hegemonien, die unhinterfragt bleiben müssen, um Machtverhältnisse und Vorherrschaften aufrechtzuerhalten. Im Sinne einer narrativen Instabilität, die Morgenthaler mit seinen xenobjects permanent abruft, sind seine Arbeiten „Gefüge“, der Politikwissenschaftlerin Jane Bennett mit Rückgriff auf Gilles Deleuze und Félix Guattari zufolge „ad hoc entstehende Gruppierungen unterschiedlicher Elemente“. Beziehungsformen, deren gesellschaftspolitisches Potenzial „unebene Topographien“ aufweisen: „Es gibt keine gleichmäßige Verteilung von Macht entlang der Oberfläche des Gefüges. Gefüge werden nicht von irgendeinem zentralen Oberhaupt gelenkt: Keine einzelne Materialität und kein einzelner Materialtyp verfügt über hinreichende Kompetenz, um durchgehend den Entwicklungsverlauf oder die Auswirkung der Gruppe bestimmen zu können.“** Jonas Morgenthaler produziert im besten Sinne des Wortes verlorene Objekte, nicht-monumentale Skulpturen, statuslose und deviante Dinge, die erst im Diskurs über ebendiese Dinge entstehen.

Der Ausstellungstitel Gap Gardening ist doppeltes Programm. Zum einen eignet sich Morgenthaler damit einen Buchtitel der Lyrikerin und Übersetzerin Rosmarie Waldrop an, der in seiner Ambiguität den Momenten des Wiederaufnehmens als eines seiner künstlerischen Prinzipien entspricht. Zum anderen korrespondiert auch die literarische Praxis Waldrops insgesamt mit der bildhauerischen des Künstlers. „An Waldrops Texten fasziniert mich vor allem das Spiel mit sprachlicher Fragmentierung und Disjunktion, ebenso wie die konsequente Auseinandersetzung mit Sprache als Material“, so Jonas Morgenthaler: „Wie eine Gärtnerin, die zwischen den Blumenbeeten nach versteckter Bedeutung sucht, durchstreift Waldrop Sprache, um Formen zu finden, die nicht festgelegt, sondern fließend sind. Ihr Schreiben ist dem Bruch und der damit verbundenen Offenheit verpflichtet.“***

Mit Gap Gardening zeigt der Künstler eine raumgreifende Installation, die in ihren Funktionsweisen seinen xenobjects gleicht. Im Zentrum stehen dabei Regeln der Zusammensetzung von Elementen, die eben nicht darauf abzielen, Bedeutung zu produzieren, sondern sich genau dieser Produktion widersetzen. Konzept und Gegenkonzept. Mit seinen Skulpturen und deren Positionierung im Raum schafft Morgenthaler Strukturen, die Subjektivität willkommen heißen und zugleich ihre formale oder konzeptuelle Fremdheit bewahren; Konfigurationen, die Simultaneität, Unbestimmtheit und Zwischentöne zulassen. In Gap Gardening sucht Morgenthaler das Verbindende zwischen den Elementen nicht in der Sinnproduktion, sondern in der Störung der dieser zugrundeliegenden Parameter. Es geht letztlich darum, einen Glitch in Prozesse der Wahrnehmung und Deutung zu implementieren, der das Potenzial hat, normative Narrative auszuhebeln.

Neben scheinbar beiläufig im Raum verteilten Skulpturen mit so verführerischen wie kryptischen Titeln wie etwa In In Flames (2023), Welcome Wellness (2023/2025) oder they don’t know what they do does IRL (2025) zeigt Jonas Morgenthaler zwei besondere Serien: Cross Collar Sadness (2023–fortlaufend) und Cross Collar Sadness (2025) versammeln kleinere und größere Notenständer aus Edelstahl, an deren oberen Ende veränderte, teils überlange und bis weit auf den Boden reichende Hemdkragen montiert sind; mit Schlüsselanhängern, Metallketten oder Vorhängeschlössern behangene Kompositionen in menschlichem oder zumindest menschenähnlichem Maßstab. Diese Skulpturen treten nicht nur als stille Begleitung der anderen Arbeiten im Raum auf, sie wirken vielmehr wie Beobachter*innen und autarke Figuren: Sie stehen da, haben Präsenz, strahlen eine eigentümliche Selbstständigkeit aus. Charakterköpfe ohne Köpfe, die genau jene Zwischenräume der Interpretation füllen, aus denen sich die poetisch-fragile Praxis von Jonas Morgenthaler speist und die einen offenen Resonanzraum für Wahrnehmung und Projektion schaffen.

Jonas Morgenthaler (* 1995 in der Schweiz) lebt und arbeitet in Wien. 

www.xenobjects.blog

* Vgl. Sarah Ahmed, Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others, Durham/London: Duke University Press, 2006.
** Jane Bennett, Lebhafte Materie. Eine politische Ökologie der Dinge, Berlin: Matthes & Seitz, 2020, S. 59.
*** Aus Gesprächen mit dem Künstler, 2025.

 

Ausstellungsansicht Jonas Morgenthaler, Zirkusgasse 38, Wien, Dezember 2022 | Foto © Simon Veres