Eröffnung, 3. Oktober 2023, 19 Uhr
Ausstellung, 4. Oktober – 10. November 2023
Zwei Worte, beinahe gleichklingend, doch mit einem unterschiedlichen Buchstaben: Hallow Hollow – so lautet der Titel der Ausstellung von Stephanie Misa im Kunstraum Lakeside. Das Verb „hallow“ für „etwas große Bedeutung und Respekt entgegenbringen“ oder auch „etwas heiligen“ und „hollow“ für „hohl, eine Leere im Inneren“ stehen nebeneinander, ohne grammatikalisch aufeinander bezogen zu sein und ohne vordergründig sinnstiftenden Zusammenhang. Die Ähnlichkeit der Worte lädt jedoch ein, darüber zur reflektieren, was das Verbindende sein könnte. Der Titel folgt mit dem Aneinanderfügen von distinkten Einheiten einem Prinzip der räumlichen Nachbarschaft, welches die gesamte Ausstellung prägt. Denn Stephanie Misa präsentiert im Ausstellungsraum wie in einem Lexikon einzelne, für sich stehende Elemente Seite an Seite und überlässt es den Betrachter*innen, die Verbindungen zwischen ihnen herzustellen.
Für den Kunstraum Lakeside wirft Stephanie Misa einen zweifachen Blick zurück: Zum einen zurück auf den Sturm auf das Kapitol in Washington, D.C. am 6. Jänner 2021 – dem Angriff von Anhänger*innen des damals noch amtierenden, aber bereits abgewählten US-Präsidenten Donald Trump auf den Kongress der Vereinigten Staaten – und zum anderen auf ihre eigene Beschäftigung mit diesem Ereignis in einer Ausstellung in Wien im Jahr 2021. Die Künstlerin kombiniert dafür bereits bestehende Werke mit neuen Elementen und lotet aus, wie sich rund dreieinhalb Jahre nach dem Ereignis und ihrer ersten künstlerischen Beschäftigung damit der Diskurs zum Sturm auf das Kapitol verändert hat.
Zu sehen sind Versatzstücke eines gleichermaßen realen wie medial vermittelten Vorkommnisses – Kleidungsstücke, Kerzenluster, ein Teppich und vier große Banner mit nach ihren Anfangsbuchstaben A, M und G alphabetisch geordneten Wörtern. Wie Requisiten in einem Fundus warten Kopfbedeckungen darauf, eingesetzt zu werden oder eine Rolle zu spielen: zum Beispiel die rote Kappe, die seit 2016 dazu dient, Donald Trumps Vorstellung von „Make America Great Again“ zu vermarkten; oder die Kojotenfellmütze mit Bisonhörnern, die Jacob Chansley ab 2019/2020 nutzte, um sich in den sozialen Medien als QAnon Schamane zu gerieren; oder auch jener Helm, den Kene Brian Lazo am 6. Jänner im Inneren des Kongresses der Vereinigten Staaten trug. Letztgenannter Amerikaner philippinischer Herkunft kombinierte den Helm mit einer Flagge, die er wie ein Cape trug, einer Schneebrille sowie einem traditionellen philippinischen Besen, um sich einerseits beim erfolglosen Putschversuch unkenntlich zu machen und andererseits, um seinen Überzeugungen in diversen Social-Media-Auftritten Nachdruck zu verleihen.
Luster, Kerzen und Teppich sind weniger direkt mit der Erstürmung des Washingtoner Regierungsgebäudes verknüpft. Vielmehr finden sich hier Anklänge an Vorstellungen von westlichem Luxus, synkretistische Voodoo-Praktiken oder traditionelles Arme-Leute-Essen. The Seance nennt Stephanie Misa diese Installation von 2021, mit der sie Orte und Zeiten zusammenfallen lässt, die auf den ersten Blick wenig gemein haben. Ähnliches gilt für die Wörter auf den Bannern, die abgesehen von ihrem Anfangsbuchstaben kaum etwas Verbindendes aufweisen. Und vielleicht ist gerade die fehlende Kohärenz jenes Signum, das es uns ermöglicht, Ereignisse wie den Sturm auf das Kapitol, wenn nicht vollends zu verstehen, dann doch in einigen ihrer Facetten zu fassen. Handelt es sich doch um ein Phänomen in westlichen Demokratien, wo Personengruppen zusammenfinden, von denen man annehmen würde, dass sie unterschiedliche Interessen hätten – wie etwa ein Milliardär und deklassierte Amerikaner*innen, die Proud Boys als rechtsextreme, ausschließlich männliche Verfechter einer weißen Vorherrschaft und ihr früherer Schwarzer Anführer oder die zahlreichen Männer, die für die USA eine Welt herbeisehnen, die es nie gab, und jene vereinzelten Eingewanderten, die diesen Traum teilen. Indem Stephanie Misa einzelne Elemente – Gegenstände wie Worte – gruppiert, die auf den ersten Blick nur einen vagen Zusammenhang haben, drängt sie uns, Relationen zwischen den Elementen herzustellen.
„Vielleicht besteht die Rolle von Künstler*innen darin, Gegenstände, Ereignisse, Menschen und sogar Orte zu demontieren und zu sezieren, damit wir die Dinge etwas klarer sehen können – sodass wir, wenn etwas sexistisch, frauenfeindlich, rassistisch, kolonialistisch, fremdenfeindlich, ungerecht und würdelos ist, die Möglichkeit haben, dies zu beanstanden“, so Stephanie Misa.* Ihre Nachforschungen zu Fragen der Identität, Migration und historischer und kultureller Authentizität kommen in ihrem Gesamtwerk in Form von Videos, Skulpturen, druckgrafischen Werken, Fotografien sowie Textproduktionen zum Ausdruck. Die eigenen diasporischen Erfahrungen der Künstlerin als Woman of Color mit philippinischem Hintergrund dienen dabei als Folie, um über Themen wie kulturelle Hybridität, wirtschaftliche Systeme und Ko-Dependenzen, patriarchale Strukturen und ihre imperialistische Agenda, den Begriff der „multiracial whiteness“ und soziale Medien, identitäre Bewegungen oder, allgemeiner noch, über unsere Gesellschaft in Krisenzeiten zu reflektieren.
Die Künstlerin zeigt sich überzeugt, „dass vieles, das (im Alltag) passiert, völlig lächerlich ist (auch gefährlich und beängstigend), fast so, als würden wir in einer Parodie des ‚echten Lebens‘ leben – es lässt einen denken: Das kann doch nicht wahr sein! Ich nehme an, dass auch die Zeit, in der wir jetzt leben, zu diesem ‚Alice Through the Looking Glass‘-Effekt des Alltäglichen beiträgt oder zumindest die albernen Dinge noch viel auffälliger macht.“* Und wenn sogar Vertreter*innen der Mehrheitsgesellschaft die Welt vielfach nur mehr als absurde Aufführung erleben, dann meint die Künstlerin „stellen Sie sich vor, wieviel lächerlicher die Welt auf eine nicht-weiße Immigrantin wirkt. Wir haben so viel mehr zu kommentieren, und es steht so viel mehr auf dem Spiel“.*
Gerade weil so viel am Spiel steht und selbst Persönliches wie eigene Werte, Überzeugungen und Emotionen einem ständigen Loop der Remediatisierung unterworfen sind, ist es notwendig, innezuhalten, ein weiteres Mal hinzuschauen und dann zu bemerken, dass etwa der gezeigte Helm aus Keramik und „America“ auf der Kappe geschwärzt ist. Es handelt sich nicht um „originale“ Gegenstände politischen Handelns, sondern um Verweise, ja Repräsentanten des gegenwärtigen Kampfs um die Deutung der Welt, der – wie der Sturm auf das Kapitol gezeigt hat – sowohl in den sozialen Medien und offiziellen Massenmedien als auch an realen Orten ausgetragen wird. Es geht um die Richtung, die eine gespaltene Gesellschaft und deren ausgehöhltes politisches System einschlagen soll. Die Insignien und Worte, die bei diesem Prozess eine Rolle spielen, werden wechseln. Der unsichere Grund bleibt.
* Stephanie Misa in einem Gespräch mit Paula Marschalek. Siehe „Interview with Stephanie Misa“, www.les-nouveaux-riches.com/interview-with-stephanie-misa.
Stephanie Misa (* 1979 auf den Philippinen) lebt und arbeitet in Wien und Helsinki.
www.stephaniemisa.com