Nika Kupyrova — Yaekahngai

Eröffnungstag, 23. März 2021, 12 – 18 Uhr
Ausstellung, 24. März – 23. April 2021

Mit den Methoden der Wiederaufnahme, also durch mehrfache Wiederholung und Variation ein und desselben Themas, eignet sich Nika Kupyrova Alltagsgegenstände, vorgefundene Bilder und Texte sowie in popkulturellen Feldern zirkulierende Phänomene an. Auch wenn sich die Künstlerin bestimmten Themen stets mit einem über die Disziplinen hinausgehenden Interesse nähert, lassen sich in ihren Werken vor allem skulpturale und installative Fragestellungen des Setzens, Legens und Stellens – des räumlichen Anordnens also – nachzeichnen. Kupyrova benutzt Ausstellungsräume als Bühnen, um den von ihr meist händisch angefertigten, jedoch industriell wirkenden Gegenständen nicht nur Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit zu schenken, sondern um gleichzeitig auch für Narration zwischen den ausgestellten Elementen, zwischen den Protagonist*innen des Bühnenstücks zu sorgen.

Nika Kupyrovas Skulpturen erzeugen so ganze Universen. Häufig sind sie etwas anderes, als sie zu sein vorgeben: Material wird mit anderen Materialien nachgeahmt, als Massenware im Umlauf befindliche Objekte werden zum vermeintlichen Einzelstück, Form ersetzt eine neue Form und visuelle Ähnlichkeiten stiften Verwirrung. Für den Kunstraum Lakeside entwickelte Nika Kupyrova eine neue Installation mit dem enigmatischen Titel Yaekahngai, die sich an den heute allerorts und jederzeit verfügbaren alternativen Wirklichkeiten und parallelen Zeitlinien abarbeitet. „Der Titel der Ausstellung Yaekahngai stammt von einem zufällig generierten WLAN-Passwort, das für mich überraschend nach einem Ort klang“, so die Künstlerin über die Genese ihrer installativen Setzung im Kunstraum, den sie als Übergangsort zwischen der analogen Welt und multiplen digitalen Realitäten begreift: „Eine mongolische Geisterwelt? Ein japanisches Jenseits? Zum ersten Mal kam für mich der Titel vor allem anderen in der Ausstellung und wurde zum Impuls und Ausgangspunkt des ganzen Projekts.“

In Yaekahngai geht Nika Kupyrova von alternativen Realitäten aus, wie man sie etwa von Computerspielen kennt, wobei der Bildschirm als Portal für Geisterwelten, Astralreisen und Zeitsprünge dient. Es handelt sich dabei um digital generierte Umgebungen, die nicht nur in der in ihnen erzählten Zeit oder im Zeitraum ihrer Benutzung, sondern auch an bestimmten Orten stattfinden – hypothetische Orte, zu denen User*innen nur dann uneingeschränkt Zugang bekommen, wenn sie das richtige Tor finden und die passenden Werkzeuge haben und wenn sie in Besitz des Passworts und somit des digitalen Schlüssels zum Tor sind. Zentral in der von der Künstlerin entworfenen Ausstellung sind unzählige Pilze, deren vielfältige Erscheinungsformen sie mit den algorithmischen Methoden der digitalen Weltkonstruktion – durch systematische Wiederholung und Variation ein und derselben Form – erzeugt hat. Die in Yaekahngai nicht aus Pixel, sondern aus Gips und Farbpigment bestehenden Skulpturen bevölkern den Ausstellungsraum geradezu und verwandeln den Besuch in einen Parcours, der das Potenzial hat, in eine andere Welt zu führen. Mit ihrer Installation setzt die Künstlerin aber nicht nur bei den fiktiven Geschichten an, die in Computerspielen erzählt werden, sie befragt darüber hinaus auch den Lakeside Science & Technology Park als Ort auf die technologischen, sozialen und nicht zuletzt gesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen, die in seinem Zusammenhang entworfen werden.

„Pilze sind wie ein Netzwerk“, so Nika Kupyrova über die ursprünglich sechs von ihr handgefertigten Objektvorlagen, die in unterschiedlichen Rot-, Gelb- und Blautönen marmoriert sind und die sie zu mehr als 100 Pilzvarianten kombiniert hat. „Pilze verhalten sich wie ein unterirdisches System, das den Betrachter*innen so lange verborgen bleibt, bis sich einzelne Ausstülpungen im Wald und auf der Wiese und nun auch im Ausstellungsraum des Lakeside Parks manifestieren.“ Um eine organische Umgebung digital glaubwürdig zu simulieren, ist es viel zu zeit- und kostenaufwendig, jedes Objekt, jeden Grashalm, jede Blume, jeden Strauch und jeden einzelnen Baum als digitales Unikat anzufertigen. Digitale Landschaften werden zwar durch eine große Menge identischer Objekte erzielt, einzelne Elemente dieser Objekte werden jedoch variiert und täuschen auf dieser Weise das menschliche Auge mit Vielfalt und Abwechslung. Diese Vorgehensweise übersetzt Nika Kupyrova in ihre analoge Varianten.

Mit Yaekahngai bezieht sich Nika Kupyrova auch auf Stonehenge. Sie geht dabei auf populärkulturelle Vorstellungen von diesem Areal im Süden Großbritanniens als Austragungsort druidischer, psychedelischer Riten ein. Die Künstlerin präsentiert diesen realen Ort als Portal, als einen Ort des Übergangs zwischen den Zeitaltern, in dem die Jungsteinzeit in eins fällt mit den 1960er-Jahren und dem aktuell wieder verstärkten Interesse an psychoaktiven Substanzen wie sie auch in Pilzen enthalten sein können. „Eine weitere Erscheinung, die sich der Sprache einer alternativen, parallelen oder anderen Welt bedient, um eine Erfahrung und nicht einen Ort zu beschreiben, ist die psychedelische Ära,“ so die Künstlerin. „Sie hat die Anfänge der digitalen Kunst stark beeinflusst – und ein Großteil der Grafiksoftware dieser Zeit ermöglichte eine scheinbar direkte Übertragung der psychedelischen Bilder auf den Bildschirm und markierte den Beginn ihrer ästhetischen Verwandtschaft.“ Ausgehend von gefundenen Stonehenge-Fotografien finden sich in der Ausstellung Yaekahngai Skulpturen, die den Eindruck erwecken, sie seien im eigenen Entstehungsprozess stehen geblieben: Die zweidimensionalen Fotografien der Kultstätte finden über den Weg der Zeichnung ins Dreidimensionale, wo sie aus Holz und Stahlrahmen noch einmal flacher erscheinen als in ihrem zweidimensionalen Ursprung. Wie Portale im Raum positioniert, zeugen sie stumm von den Erzählungen und Theorien, die sich um sie ranken, und verleiten die Betrachter*innen dazu, sich buchstäblich wie sprichwörtlich von unterschiedlichen Seiten mit ihnen auseinanderzusetzen. In ihrer künstlerischen Praxis übersetzt Nika Kupyrova häufig das Digitale ins Analoge und umgekehrt. Sie interessiere sich dabei für die Unzulänglichkeiten der Übersetzung an sich, die den dahinterliegenden Prozess erst sichtbar machen.

Nika Kupyrova (* 1985 in der Ukraine) lebt und arbeitet in Wien und Prag.
www.nikakupyrova.com

 

Nika Kupyrova, Digitally generated sky: rendering 2, 2020