Lisl Ponger — welcome

Eröffnung, 6. Februar 2024, 18 Uhr
Ausstellung, 7. Februar – 29. März 2024

„Willkommen, bienvenue, welcome… happy to see you…“ Mit blecherner Stimme, aus der Harmonie geraten, geradezu amelodisch eröffnet Hakan Gürses’ Interpretation von Willkommen Lisl Pongers Film Phantom Fremdes Wien aus dem Jahr 2004. Im Gassenhauer aus dem Musical und gleichnamigen Film Cabaret begrüßt ein Conférencier das Publikum im Berliner Kit Kat Klub der beginnenden 1930er Jahre – er heißt aber nicht nur das gespielte Publikum im Film willkommen, sondern gleichzeitig auch jenes in den Kinosälen. Ein erzählerischer Trick, der nicht nur die Aufmerksamkeit in den Publikumsrängen steigert, sondern auch die Geschichte zwischen Dekadenz und Hedonismus im aufkeimenden Nationalsozialismus der damaligen Zeit mit der Realität gegenwärtiger Zuseher*innen verstrickt. „Fremder, étranger, stranger…“, setzt der Text fort und bringt die Differenzkategorie des „Anderen“ ins Spiel, vor der in einer Politik, deren Programm auf einem existenzialistischen Weltbild basiert, oft gewarnt und die von Medien häufig zur Meinungsmache instrumentalisiert wird.

Dass Sehgewohnheiten historisch tief in uns verankert sind und bestimmte Objekte und Bilder Stereotype produzieren und immer und immer wieder abrufen, ist einer der Ausgangspunkte in Lisl Pongers künstlerischer Praxis. Seit Jahrzehnten beschäftigt sie sich in ihren Filmen, Fotografien und Ausstellungen mit (Re-)Präsentationen des Fremden und des Eigenen. Ihr künstlerisches Interesse gilt der Konstruktion von kultureller Identität an der Schnittstelle zwischen Kunst, Alltagskultur und Ethnologie. In den 1990er Jahren, die in Österreich von der fremdenfeindlichen Rhetorik der FPÖ geprägt waren, unternahm sie unter dem Titel Fremdes Wien in groß angelegten fotografischen Projekten den Versuch, Bilder von Migrant*innen und deren Communitys zu schaffen, die sich gegen die vorherrschende stereotypisierende Berichterstattung in den Massenmedien richteten. Hierfür besuchte sie über 70 Communitys und deren Veranstaltungen wie etwa ein kurdisches Solidaritätsfest in der Kurhalle Oberlaa, die buddhistische Friedenspagode am Donauufer im zweiten Wiener Gemeindebezirk, das Restaurant Nachtshanghai in Margareten, ein Ramadanfrühstück im Ägyptischen Klub in der Innenstadt, ein nigerianisches Erntedankfest in der Himmlischen Kirche Christi, ein indonesisches Weihnachtsfest. Die Liste der Herkunftsländer oder -regionen der religiösen oder an bestimmte kulturelle Räume gebundenen Traditionen lässt sich fortsetzen. Es mischen sich öffentliche mit privaten Festlichkeiten.

Rund ein Jahrzehnt später, zu Beginn der Nullerjahre – in Österreich hat sich mittlerweile mit einer Koalition aus ÖVP und FPÖ die Fremdenfeindlichkeit institutionalisiert – unterzieht Lisl Ponger mit dem Film Phantom Fremdes Wien ihre eigene Praxis einer kritischen Reflexion. Die Auszüge aus Super-8-Filmen, Originaltönen und Tagebucheintragungen aus den 1990er Jahren, die die Künstlerin zu einem filmischen Essay montiert hat, führen „das Andere“ jedoch nicht als etwas Außergewöhnliches, ja Exotisches vor, sondern zeigen, ganz im Gegenteil, seine Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit. Selbst wenn die Bewegtbilder religiöse oder sonstige Feste wie etwa Hochzeiten porträtieren, scheint die Kamera mittendrin zu stehen und Teil vom Geschehen zu sein. In einer kurzen Sequenz ganz zu Beginn von Phantom Fremdes Wien zeigt sich das Filmemachen auch selbst. In der zweiten Szene richtet ein Kameramann bei einem Fest, das Ponger besucht hat, die Geräte am Stativ ein. Er dokumentiert alles. Ein Kontrollbildschirm flackert, der Kameramann blickt einen Moment lang aus dem Bild heraus. Kurz darauf beginnt Lisl Ponger zu sprechen. Die nüchterne Stimme der Künstlerin, die über allen Szenen liegt, thematisiert nicht nur die Orte, Gruppen und Gemeinschaften, die zu sehen sind, sondern spricht auch von der Art und Weise, wie die Filmbilder organisiert sind. Vom Experimentalfilm kommend, legt Lisl Ponger damit die eigenen Blickmuster offen, das Blickregime einer Österreicherin, die sich auf eine Reise durch das fremde Wien begeben hat. Mit dieser Form der Selbstreflexion versucht Ponger den eigenen – exotisierenden – Blick auf das Fremde und Andere zu neutralisieren. Sie benennt Veranstaltungen, Orte, Personen und die unterschiedlichen Geografien und Chronologien, nach denen diese im Verlauf der Filmbilder geordnet sind. Der Wechsel an Darstellungsformen wird ebenso zum Thema gemacht. Die künstlerischen Entscheidungen sind transparent.

Gut 20 Jahre nach Phantom Fremdes Wien heißt Lisl Ponger die Besucher*innen wieder willkommen. Dieses Mal in zehn unterschiedlichen Sprachen: „willkommen, bun venit, добродошли, hoş geldin, dobrodošli, dobrodošao, isten hozott, أهلًا وسهلًا, mile widziany, прошу“. Den Daten der Statistik Austria zufolge kommen 2023 die größten Gruppen an Zuwander*innen in Österreich aus Deutschland, Rumänien, Serbien, Türkei, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Ungarn, Syrien, Polen und der Ukraine. Die Reihenfolge der Ländernennungen korrelliert mit der absteigenden Anzahl der Migrant*innen pro Gruppe im betrachteten Jahr. Auf dem Schaufenster des Kunstraum Lakeside sind alle Willkommensgrüße in einer Endlosschleife aus weißen Buchstaben, eine Art filmischer Vorspann, zu lesen. Nach dem Eintreten ist im Inneren des Ausstellungsraums sowohl der Film als auch eine raumgreifende Bodeninstallation zu sehen. Die Künstlerin hat Konfetti und Kunstblumen am Boden ausgebreitet. Die Anordnung der Konfettifarben am Boden entspricht den Farben der zehn Landesflaggen. Gold und weiße Sterne inklusive. Die Blüten sind Platzhalter für die Nationen: die Kornblume steht für Deutschland, die Pfingstrose für Rumänien, Maiglöckchen für Serbien, Jasmin für Syrien. Die Konfettischnipsel und Blumen sind derart im Raum positioniert, dass die Besucher*innen nicht anders können, als durch die Installation zu gehen. Dabei lösen sich Grenzen auf: Grenzen zwischen Kunstwerken und Ausstellungsraum, zwischen Papierschnipsel und Blütenblättern, zwischen den einzelnen Farben. Nicht zuletzt demontieren die Besucher*innen die Idee von Nationalstaaten und Staatsgrenzen, indem sie die Elemente der Ausstellung unweigerlich bewegen – alles bestimmende Ideen, die dafür verantwortlich zeichnen, dass manche Menschen aus manchen Ländern willkommen geheißen werden und andere nicht.

„Wie soll der Film eigentlich aufhören?“, fragt Ponger zum Abschluss von Phantom Fremdes Wien und liefert parallel zu den Filmbildern auch gleich die Antworten: „So … (winkende Kinder) … oder eher nachdenklich (ein altes bosnisches Ehepaar) … oder politisch (tanzende Menschen mit Palästinensertüchern) … oder mit Sport (Fußballszenen) … mit Arbeit (ein Messerschleifer) … oder exotisch (ein Mann mit dunkler Sonnenbrille und Fes, ein roter Filzhut mit Quaste) … oder exotisch voyeuristisch (eine Frau beim Bauchtanz mit einem mit Pailletten bestickten Bustier).“ Danach folgt trocken der Abspann. Auf Wiedersehen!

Lisl Ponger (* 1947) lebt und arbeitet in Wien.
www.lislponger.com

 

Lisl Ponger, Welcome, 2023
Lisl Ponger, Welcome, 2023