Huda Takriti — Rewinding(s). In Rehearsal

Eröffnung, 9. April 2024, 18 Uhr
Ausstellung, 10. April – 29. Mai 2024
Lange Nacht der Forschung, 24. Mai 2024, 16–23 Uhr

Huda Takriti: Wer hat die Fotografien in diesem Album gesammelt – Du oder Deine Mutter?
Souheir Takriti: Nein, sie stammen ursprünglich aus einem Familienfotoalbum, ich habe sie dann ausgetauscht und eine eigene Sammlung mit ihren Arbeitsfotos angelegt.

Dem Beginn einer Darstellung wird in der Geschichtswissenschaft große Aufmerksamkeit geschenkt. Der Erzählanfang gibt vor, worum es geht, unterscheidet er doch zwischen dem, was vor dem und außerhalb des Erzählten bleibt, und dem, was das Zentrum der Geschichte ausmacht. „Besonders in der narrativen Rekonstruktion von Konflikten“, so der Erzähltheoretiker Albrecht Koschorke, „ist die Wahl des Anfangs folgenreich, weil von dem jeweils festgelegten Beginn an gleichsam der Zähler des Unrechts mitläuft, das einer Konfliktpartei zugefügt wurde und das ihre Gegenwehr legitimiert.”* Huda Takriti beginnt ihre Dreikanalinstallation On Another Note (2024) mit Geräuschen eines Regenwalds und Landschaftsdetails vom Cover eines Fotoalbums, das in asiatischer Lackmalerei ausgeführt ist. Ihre Mutter, Souheir Takriti, bewahrt in diesem Album Fotos ihrer Mutter – Hikmat al-Habbal – auf, die diese in den 1960er Jahren als Lehrerin und erfolgreiche Textilkünstlerin in Kuweit zeigen.

Meine Mutter bewarb sich also um eine Stelle als Kunstlehrerin in Kuwait, um ihren jüngsten Bruder zu unterstützen. Als sie die Stelle bekam, nahm sie ihn mit nach Kuwait, wo er sein Studium beenden konnte. Neben ihrer Arbeit als Kunstlehrerin an der Schule war sie weiterhin als Modedesignerin tätig, sie entwarf einige Kleider für die Prinzessinnen in Kuwait, wo ihre ältere Schwester bereits Fuß gefasst hatte.

On Another Note hat unmittelbar nichts mit dem gegenwärtigen Schrecken im Nahen Osten zu tun. Die Künstlerin lässt uns vielmehr an einem Gespräch mit ihrer Mutter über ihre Großmutter teilhaben. Zu sehen sind die Hände von Souheir Takriti, die ein Fotoalbum durchblättern sowie Textilien vorzeigen. Wir werden Zeug*innen eines Versuchs, mit einer verstorbenen Person im Hier und Jetzt zu sein, wobei Fotos und Stoffe als Anker für Erinnerungen und Erzählungen dienen. Wir hören und lesen, wie eine Mutter ihr Wissen um vergangene Geschehnisse an ihre Tochter weitergibt. Ein Erbe wird erkennbar, das geprägt ist von der Sorge um die Familie angesichts palästinensischer Staatenlosigkeit. On Another Note erklärt nicht, klagt auch nicht an. Vielmehr eröffnet diese filmische Auseinandersetzung mit Bildern und Geschichten einen Raum, der es den Betrachter*innen erlaubt, sich der Wirklichkeit palästinensischer Menschen auf eine sehr intime Art und Weise zu nähern; Menschen, die über Generationen hinweg immer wieder gezwungen sind, sich aufzumachen und neu anzufangen.

Hier sind ein paar der Arbeiten, die sie begonnen hatte und die ich für ihre Enkelkinder weiterführen sollte, als Andenken an etwas, das ihre Großmutter und ihre Mutter gemeinsam geschaffen haben. Dieses Stück hier hat sie fertiggestellt, aber der Rest wartet auf mich.

Huda Takriti setzt sich in dieser Arbeit, wie auch in ihren anderen zu (post-)kolonialen Konflikten im arabischen Raum, mit Geschichtsschreibung und Erinnerung auseinander und damit, wie diese durch Lücken bestimmt werden. Diese Lücken entstehen manchmal zufällig. Oft verdanken sie sich aber auch dem Umstand, dass sich eine andere Erzählung aufgrund ungleicher Machtverhältnisse durchgesetzt hat oder auch weil aufgrund von Zerstörungen und Flucht materielle Träger von Erinnerungen für immer verloren gegangen sind. Indem Huda Takriti die Werke ihrer Großmutter als geschätzte Gegenstände zeigt, die geschützt und bewahrt werden, lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die prekäre Existenz jener, deren Rechte nicht mit einer Staatsbürger*innenschaft abgesichert sind.

Huda Takriti fasst Bilder und Gegenstände als sogenannte „Aktanten“ (Bruno Latour) auf, die die Grenzen dessen abstecken – oder auch überschreiten –, was von Ereignissen gesagt und was über sie imaginiert werden kann. Sie künden von dem, was nicht unmittelbar vor Augen liegt; sie migrieren in unterschiedliche Kontexte und sind manchmal wie ungebetene Gäste, die sich weigern, aus dem öffentlichen Diskurs zu verschwinden. Indem die Künstlerin den Geschichten ihrer Mutter und Großmutter lauscht, indem sie ihr Erbe annimmt und mit den ihr tradierten Bildern, Mustern und Textilien zu uns spricht, schreibt sie eine „potenzielle Geschichte“, die der Fototheoretikerin Ariella Aïsha Azoulay zufolge „von Gewalt heimgesuchte Welten nicht repariert, sondern zu dem Zeitpunkt zurückspult, bevor die Gewalt geschah und von dort aus fortsetzt“**. Diese Geschichte spart die Gewalttätigkeit von Grenzziehungen, Melderegistern und restriktiver Staatsbürger*innenschaftsgesetzgebungen nicht aus. Doch sie nimmt gleichzeitig auch jene Punkte in der Vergangenheit in den Blick, in denen die Möglichkeit für eine andere, gerechtere Welt zu finden sind.

1948 teilten ihnen die britischen Besatzer mit, dass sie Palästina vorübergehend für drei oder vier Tage verlassen müssten. Sie gingen in den Libanon und kamen in Tyrus und Saida unter. Als sie die libanesische Grenze überquerten, galten sie als palästinensische Flüchtlinge.

In ihrem Werk fokussiert Huda Takriti sowohl auf höchst persönliche als auch auf nationale Narrative und die Frage, wie durch sie die Vergangenheit in der Gegenwart präsent wird. Die Künstlerin lotet dabei die Relationen zwischen Erzählen und Interpretieren, zwischen Tradieren und (Nach-)Wirken, zwischen originalen historischen Bildern und deren Funktionen in der Gegenwart aus. Indem sie zusätzlich zu den Aufzeichnungen vergangener Momente auch auf Prozesse verweist, von denen es keine Aufnahmen gibt, wird das Tradieren vergangenen Geschehens als ein komplexer, generationenübergreifender Prozess begreifbar.

Er beteiligte sich an der Revolution von 1936 gegen das britische Mandat, da er mit Izz Addin al-Qassam befreundet war.

In Gesellschaften, die durch Zuwanderung geprägt sind, wäre es darüber hinaus notwendig, der Formierung kultureller Erinnerung und den damit verbundenen Perspektivierungen und Narrativen Beachtung zu schenken. So werden mit dem Namen al-Qassam im deutschsprachigen Raum wohl am ehesten die Raketen und Brigaden der Hamas verbunden. Palästinenser*innen hingegen sehen in diesem syrisch-muslimischen Prediger des ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auch den Anführer gegen die britische und französische Mandatsherrschaft sowie einen frühen Gegner des Zionismus. Bei Ereignissen im Jahre 1936 gegen die britische Mandatsregierung, gegen Zionist*innen und gegen arabische Eliten, die je nach Position als Angriff, Aufstand, Generalstreik oder auch Revolte und Revolution bezeichnet werden, spielte er eine wichtige Rolle.

On Another Note kann daher als Intervention in den öffentlichen Diskurs Österreichs und Deutschlands verstanden werden. Denn in einer postmigrantischen Gesellschaft sollten die Erinnerungen jener, die von woanders in diese Länder gekommen sind, Teil einer geteilten Erinnerungskultur werden. Doch das Gegenteil ist der Fall, erhalten Palästinenser*innen doch kaum die Möglichkeit, ihre Perspektive auf den derzeit herrschenden, asymmetrischen Krieg darzustellen.

Samtstoff ist für diese Tufting-Technik das einzig geeignete Material. Ich bemerkte, dass der ältere Rahmen auseinanderzubrechen drohte und die Farben der Arbeit zu verblassen begannen. Also beauftragte ich einen Tischler, einen neuen Rahmen anzufertigen. Da dieses Werkstück aus feinen, leicht reißbaren Fäden gefertigt wurde, haben wir den Rahmen mit Glas versehen, um es zu schützen.

Die Filminstallation On Another Note wird in der Ausstellung Rewinding(s). In Rehearsal (2024) im Kunstraum Lakeside mit zwei Werken aus der Reihe Revisitation. In Three Acts präsentiert. Act One, eine digitale Fotocollage auf Textil, kombiniert Fotos mit Hikmat al-Habbal bei ihren Ausstellungseröffnungen mit Filmstills aus dem Film On Another Note. Formen aus Vinyl verweisen bei Act Two auf die Rückseite von einer Fotografie, die ebenfalls im Film zu sehen ist. Diese Rückseite trägt noch die Spuren jenes (anderen) Albums, in dem das Foto ursprünglich eingeordnet worden war. Indem Huda Takriti die Glasscheibe des Ausstellungsraums als Rückseite eines Bildes kennzeichnet, macht sie ihn zur (Probe-)Bühne der Fotografie. Betritt man den Raum, zeigt die Innenfolie die umgekehrte Rückseite eben dieser Fotografie. Damit unterbricht die Künstlerin, wie auch im Film, die Verbindung zwischen dem, was sich innerhalb und außerhalb des fotografischen Rahmens befindet.

Nach ein paar Monaten beschlossen sie, nach Syrien zu gehen, da der Rest der Familie dort lebte und sein Bruder Bürgermeister des Stadtteils Salhiye in Damaskus war. Daraufhin erhielten sie ein syrisch-palästinensisches Reisedokument und lebten ihr ganzes Leben als palästinensische Flüchtlinge.

Vor und im Kunstraum Lakeside wird es notwendig sein, genau und wiederholt zu schauen, möchte man den Kern von Rewinding(s). In Rehearsal erfassen. Dabei wird es gut sein, sich des eigenen Standpunkts bewusst zu werden. Denn Huda Takritis Ausstellung erlaubt nicht nur, Zeug*innen der Tradierung persönlicher Erinnerungen zu sein, sondern verortet dieses Bewahren von Geschichten, Techniken und Dingen zum Teil auch in einem (post-)kolonialem Regime von Praktiken, die vom Ausstellen von Pässen bis hin zum fotografischem Herauslösen und Fixieren distinkter Augenblicke reichen.

Huda Takriti gelingt es, dem Ausstellungspublikum in einem Land, das jahrzehntelang Migrant*innen als „Gäste“ verstand, die nach getaner Arbeit wieder nachhause zu gehen haben, und dessen restriktiver Zugang zur Staatsbürger*innenschaft diesem Verständnis noch immer verpflichtet ist, eine Ahnung davon zu geben, was es heißt, staatenlos oder auf der Flucht zu sein; was es heißt, wenn Menschen wiederholt der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Die Künstlerin versteht dabei das Zurückkehren zu vergangenen Momenten sowie wiederholtes Proben als „eine Möglichkeit, auf andere Weise mit anderen zusammen zu sein – in Wechselwirkung zu handeln und zu interagieren und sich so gegenseitig zu beherbergen und zu verkörpern“.

Huda Takriti (* 1990 in Syrien) lebt und arbeitet in Wien.
www.hudatakriti.com

* Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung: Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2012. S. 63.
** Ariella Aïsha Azoulay, Potential History: Unlearning Imperialism, London & New York: Verso, 2019, S. 28.

 

Huda Takriti, Process Image, 2023

Im Rahmen von
ÜBER DAS LAND / O DEŽELI
Jahr der Fotografie / Leto fotografije, 2024
www.ueberdasland.at

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