Statement #17 | Eva Engelbert — Auch beim Stehen in Bewegung bleiben

Performative Lesung, 14. Juni 2022, 19 Uhr
Anschließendes Gespräch mit Sebastian Mühl
Open Space ab 17 Uhr

Die Beschäftigung mit Geschichtsschreibung ist ein wichtiger Ausgangspunkt von Eva Engelberts künstlerischer Auseinandersetzung mit den materiellen und räumlichen Bedingungen unserer Gesellschaft. Mit Skulpturen, Installationen und architektonischen Interventionen stellt die Künstlerin zur Diskussion, wessen Geschichte geschrieben wird und welche alternativen Geschichten tradiert werden. Die explizit politischen Implikationen ihrer Herangehensweise verknüpft sie mit kunstimmanenten Fragestellungen nach den formal-ästhetischen Voraussetzungen ihrer Kunstproduktion.

Ihre Rollen als Lehrende an der Universität für angewandte Kunst Wien und als freischaffende Künstlerin reflektierend, entwickelte Eva Engelbert zuletzt eine Skulptur mit dem Titel Einfacher Hausrat Fig. 44 (2020), die auf einen studentischen Entwurf für einen so genannten „Speisenschrank“ Bezug nimmt. Der Entwurf war Teil eines Wettbewerbs im Jahr 1916 an der k.k. Kunstgewerbeschule Wien, der heutigen Universität für angewandte Kunst Wien. Der von den Folgen des Ersten Weltkriegs gebeutelten Bevölkerung sollte der Zugang zu einfachen und preiswerten Möbelstücken ermöglicht werden. In einer Schrift des Kaiserlich-Königlichen Österreichischen Museums für Kunst und Industrie wurden die Parameter der Ausschreibung folgendermaßen definiert: „Die Entwürfe entstanden aus der Anregung für die vom Kriege betroffenen Gegenden gegen die übliche Händlerware Stellung zu nehmen; es sind charaktervolle Typen für den einfachen Hausgebrauch, für die einfachen Verhältnisse und Bedürfnisse in der einfachsten, aber für das Material und Werkzeug charakteristischen Art. Jeder nicht im Charakter der Sache gelegene Schmuck ist absichtlich vermieden.“ Eva Engelberts Recherchen zu diesem Wettbewerb und die daraus resultierende skulpturale Wiederaufnahme fokussieren auf die Verschränkungen zwischen traditioneller und modernistischer Gestaltung, zwischen nationalen Narrativen und sozialem Designanspruch: „Die 52 in einer Publikation zusammengefassten Konstruktionszeichnungen bilden auf nicht lineare, vielstimmige und ambivalente Art Geschichte ab und sind somit Material, nach dem ich für meine eigenen Arbeiten und für meine Lehre suche“, so die Künstlerin.

In der performativen Lesung Auch beim Stehen in Bewegung bleiben im Kunstraum Lakeside aktualisiert Eva Engelbert ihre skulpturale Setzung. Der von der Künstlerin verfasste Text wirft mittels fiktiver Wettbewerbsbeiträge einen spekulativen Blick in die Zukunft: Darstellungen der eingereichten Objekte in ihrem alltäglichen Gebrauch sowie deren Beschaffenheit verbinden sich mit Passagen der historischen Ausschreibung, und die Verwendung von Ersatzstoffen im Ersten Weltkrieg wird mit der aktuellen Erforschung nachhaltiger Materialien parallelisiert. Darüber hinaus geht es um die Auflösung von Binaritäten sowie die Notwendigkeit von Empathie und Fürsorge. Ähnlich wie der Kunstraum Lakeside mit dem Jahresthema Vollendete Zukunft ein vergangenes Programm reflektiert und gemeinsam mit Künstler*innen die Aktualität und Relevanz der damaligen Fragestellungen untersucht, greift Eva Engelbert auf den Wettbewerb Einfacher Hausrat und die damit verbundenen gesellschaftlichen Konzepte zurück, um Alternativen zur Gegenwart zu entwerfen.

Eva Engelbert (* 1983 in Österreich) lebt und arbeitet in Wien.
www.evaengelbert.com

 

Eva Engelbert, Auch beim Stehen in Bewegung bleiben (Arbeitsprobe), 2021