Statement #21 | Sven Bergelt — @basjanader_#I’mtstty

Performance, 13. Juni 2023, 19 Uhr
In Kooperation mit Paula-Marie Kanefendt
Open Space ab 17 Uhr

In @basjanader_#I‘mtstty untersucht Sven Bergelt emotionale, affirmative und kommunikative Momente der menschlichen Existenz, die durch Videos auf YouTube gleichermaßen hervorgerufen wie zur Schau gestellt werden – ein ambivalentes Spiel. Ausgangsmaterial der Vortragsperformance im Kunstraum Lakeside und des gleichnamigen Künstler-Archivs sind über 100 im Internet veröffentlichte Nachahmungen des Films I‘m too sad to tell you (1971) des niederländischen Künstlers Bas Jan Ader (1942–1975). Zwar in Holland geboren, durchlief Ader fast seine gesamte künstlerische Ausbildung in Südkalifornien, wo er sich Ende der 1960er Jahre der ersten Welle des Konzeptualismus an der Westküste anschloss. In seinem vergleichsweise kleinen Œuvre lotete er Aspekte wie menschliche Verwundbarkeit und Emotionalität mit konzeptuellen Mitteln aus; zu einem Zeitpunkt, als die Konzeptkunst stark von einer „Ästhetik der Administration“ (Benjamin Buchloh) geprägt war. Der ursprüngliche Film zeigt Ader, wie er aus einem nicht näher bekannten Grund minutenlang vor der Kamera weint. Neben diesem Schwarz-Weiß-Dokument besteht das Werk aus den frühen 1970er Jahren aus Standfotos und einer Postkarte, die der Künstler an Freund*innen und Bekannte verschickt hatte. Seit den 1990ern wird das Werk Aders vermehrt in Ausstellungen gezeigt und darüber hinaus haben hunderte Menschen in Referenz auf dieses Werk Videos auf YouTube veröffentlicht, in denen sie ebenfalls vor der Kamera sitzen und – aus unbekannten oder bekannten Gründen – in Tränen ausbrechen oder ihre eigenen Emotionen in sonstiger Form mit dem Originalfilm in Beziehung bringen.

Sven Bergelts Sammlung des audiovisuellen und textlichen Materials, das sich um Bas Jan Ader Werk aufspannt, thematisiert die Kultur des Kopierens im Internet sowie deren Möglichkeiten netzwerkbasierter Kommunikation. Im Jahr 2007 reenactete der Künstler selbst Aders Film und präsentierte das Resultat im Internet. Sein Video aktualisierte die Thematik von Aders Film unter den gegenwärtigen medialen Bedingungen: Selbst das zutiefst Persönliche – Gefühle also – entspringt oder gleicht einem Skript, das medial vermittelt wird… Bergelt arrangiert das archivierte Material für jede Ausstellung neu und verdeutlicht damit den Gedanken eines prozessualen Archivs. Bei den Neuinszenierungen von Bas Jan Ader handelt es sich nicht um Kopien, sondern es entstehen in Differenz zum ursprünglichen Kontext Aktualisierungen und neue Referenzierungen. So finden in vielen Kommentaren zu den Videos beispielsweise geschlechtsbezogene Interpretationen und idiosynkratische Reaktionen statt. Hier wird offensichtlich, dass die Kommentarfunktion auf YouTube neue Formen der Kommunikation anstößt und dadurch mit Themenfeldern verknüpft, die im Original nicht nicht verhandelt wurden. Mit dem Transfer der Videos aus der Nutzer*innenoberfläche von YouTube in sein eigenes Archiv, löst Sven Bergelt sie aus dem gegenwartsbasierten Massenmedium des Internets heraus. Die Sammlung stellt einen neuen, eigenständigen Materialkontext her, der es dem Künstler ermöglicht, Reenactment und Remediatisierung als Kommunikationsphänomene im Web zu untersuchen.

Sven Bergelt (* 1983 in Deutschland) lebt und arbeitet in Leipzig.
www.svenbergelt.de


Sven Bergelt, @basjanader_#I‘mtstty, 2013/2023

 

Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen