Eröffnung, 8. Oktober 2020, 17:30 – 19:30 Uhr
Ausstellung, 9. Oktober – 6. November 2020
Im Zentrum Peter Downsbroughs künstlerischer Praxis stehen subtile Momente der Verbindung. Sein minimalistisches Werk setzt sprachliche, typografische und zeichnerische Elemente mit der Architektur der jeweiligen Ausstellung in Beziehung und schafft Geometrien und Rhythmen, die nicht nur Einfluss auf die Wahrnehmung des Raums, sondern auch auf seine Bedingungen, auf seine Struktur haben. Konjunktionen wie UND, ABER, ALS – syntaktischen Mittel, die sonst Verbindungen zwischen Wörtern, Satzteilen oder ganzen Sätzen herstellen – bilden neben Präpositionen, Verben oder anderen Wortklassen häufig den Ausgangspunkt, um Ecken, Kanten, Öffnungen, Verschlüsse, transparente und opake Flächen sowie räumliche Übergangssituationen buchstäblich wie im übertragenen Sinn zum Sprechen zu bringen.
Peter Downsbroughs Formensprache, die der Künstler seit den 1960er-Jahren kontinuierlich entwickelt, verstärkt sich einmal mehr durch die Reduktion auf schwarze Buchstaben und Linien. Diese für sein Werk grundlegenden methodischen Elemente setzt der Künstler jedoch nicht nur in architektonischen Zusammenhängen ein, sondern wendet sie auch auf den öffentlichen Raum, auf Zeichnungen, Modellbauten, Fotografien, Videos und nicht zuletzt auf Künstlerbücher an. „Oft wird mir vorgeworfen, ein Minimalist zu sein“, behauptet der Künstler über die Art und Weise wie sein Schaffen rezipiert wird. Peter Downsbroughs Antwort darauf: „Nein, nein, ich bin überhaupt kein Minimalist – ich bin ein Maximalist, weil ich nicht mehr tun kann als ich tue.“1
Für den Kunstraum Lakeside entwickelt Peter Downsbrough eine neue, nicht nur auf den Ausstellungsraum, sondern auch auf die Umgebung des Technologieparks bezogene Setzung. Im Zentrum steht das große Fenster des Kunstraums, das Betrachter*innen ermöglicht, die Zeichnungen des Künstlers im Innen- wie im Außenraum quasi von der Architektur gerahmt zu betrachten und miteinander in Beziehung zu setzen. Das großflächige Glas, das für Transparenz sorgt, fungiert als Interface – als architektonische Schnittstelle zwischen Kunst und Reflexion derselben im Inneren sowie Technologie und Wissensproduktion im Äußeren. Two Pipes [Zwei Rohre], die Wiederaufnahme einer Arbeit Downsbroughs aus dem Jahr 1970, besteht aus zwei deutlich ungleich langen Gasrohren, die in einem Abstand von wenigen Zentimetern parallel zueinander im Außenraum positioniert sind. Im Boden vor dem Kunstraum verankert, ragt eines der Metallelemente in den Himmel, die Größe des zweiten Elements beläuft sich auf ein menschliches Maß. Beide durchschneiden den Blick der Passant*innen auf ihr Umfeld wie zwei gezeichnete Linien ein Blatt Papier. Lassen sich die Betrachter*innen auf diese Gegenseitigkeit von Kunstwerk und Umraum ein, werden sie von Two Pipes in den Ausstellungsraum geleitet, wo sie als eine Art Fortsetzung ein ähnlich zurückhaltendes Werk vorfinden.
Im zentralen Eingangsbereich des Kunstraums, der durch das Fenster unmittelbar mit dem Außenraum und somit auch mit Two Pipes verknüpft ist, hat Peter Downsbrough drei von der Decke hängende Metallrohre in den Raum gesetzt. Die Linien enden in unterschiedlichen Höhen über dem Boden und be-zeichnen, je nachdem an welcher Position man sich im Ausstellungsraum gerade befindet, die Architektur, innerhalb derer man sich bewegt, den Außenraum hinter der Glasscheibe oder die weiteren im Raum positionierten Arbeiten Peter Downsbroughs. Die Art wie die drei Elemente zueinander gesetzt sind, die Distanz zwischen den Metallstäben, ihre unterschiedliche Länge sowie der Abstand zum Boden suggeriert, dass sich die Betrachter*innen in einem veränderlichen und von Beziehungen geprägten Gefüge befinden, in dem ihr Positionswechsel und ihr Blick ebenso Teil des Werks sind, wie die materiellen Bestandteile der Arbeiten. Im Hintergrund des Kunstraums, ebenso mit direktem Sichtbezug zu den Gebäuden des Wissenschafts- und Technologieparks außerhalb, hängen zwei weitere ein Meter lange Rohre an der Wand. Sie können als reduziertes Bild betrachtet werden, das die architektonischen Voraussetzungen der Wand, auf der sie hängen, strukturiert und im selben Moment neu vermisst: die Größe der Wand, das Verhältnis ihrer Höhe und Breite zueinander, die Beziehungen zu den übrigen Flächen, Volumina und Formen im Raum, all das steht zur Disposition. Vom Eingangsbereich aus betrachtet, gesellen sich die dreidimensionalen und dementsprechend als Skulpturen zu verstehenden Linien vor dem weißen Hintergrund zu den von der Decke abgehängten Elementen. Sie unterstreichen den partizipativen Charakter Peter Downsbroughs Arbeit, die sich erst durch die Interaktion mit den Betrachter*innen, durch den Blick und die Wahrnehmung derselben, vervollständigt.
Im gegenüberliegenden Teil des Kunstraums erweitert der Künstler seine Reflexion über die Architektur durch ein Moment der Zeitlichkeit. Dazu setzt er mit einem handelsüblichen Klebeband eine vertikale Linie auf die Wand. Parallel zu dieser aus der Mitte der Architektur geschobenen Zeichnung lesen Betrachter*innen das Wort ZEIT, wenn sie Ihren Blick entlang der Linie vom Boden bis zur Decke des Raums gleiten lassen und dabei Zeit verstreicht. Rechts von diesem Text-Bild-Ensemble steht die Konjunktion AND, links davon die deutsche Übersetzung UND, die typografisch invertiert den Eindruck vermittelt, man hätte es bei der Wand mit einer von beiden Seiten transparenten Fläche zu tun – eine Querverweis auf die Glasscheibe im Eingangsbereich des Kunstraum Lakeside. Begreift man die Linie als kürzeste Verbindung zweier Punkte auf einer Oberfläche oder in einem Raum, liegt nahe, dass Peter Downsbroughs Werk nicht nur aus einer schier unendlichen Reihe von Konjunktionen im Stile von „und und und…“ besteht, sondern diesen Zustand auch gleichzeitig sichtbar macht.
Zusätzlich zur räumlichen Setzung sind im Kunstraum Lakeside ausgewählte Publikationen des Künstlers zu sehen. Mit weit über 100 veröffentlichten Titeln seit den späten 1960er-Jahren ist das Buch eine Ausdrucksform im künstlerischen Schaffen Downsbroughs, in der seine unterschiedlichen Ansätze an der Schnittstelle von Architektur, Fotografie, Zeichnung und auf Text basierender Kunst zusammenkommen. So auch etwa im Fall des Künstlerbuchs LINK (2013), bei dem die Linie als netzwerkartige Struktur, als Verbindungslinie zwischen unterschiedlichen Knotenpunkten, zur Diskussion steht. Mit LINK setzt sich Downsbrough als Autor direkt mit seinen Leser*innen in Verbindung und dabei über die herkömmlichen Mechanismen des Buchmarktes hinweg, denn LINK kann nicht gekauft, sondern nur für ein anderes Buch getauscht werden. Peter Downsbroughs 1976 veröffentlichte Definition des Künstlerbuchs bringt das Wechselspiel von Praktiken, Formen und Medien in seinem Œuvre auf den Punkt: „as relates to: page, pages—turn the page—read recto/verso verso/recto to place to locate on the page—pages and to handle—to write, to read and contain there on the page, here/there, a page—one after the other or before, to read—page, pages, a book“2
Peter Downsbrough (* 1940 in den USA) lebt und arbeitet in Brüssel.
1 Peter Downsbrough über Two Poles (1974), https://www.moma.org/audio/playlist/272/3534 [letzter Zugriff: 26. Juli 2020]
2 Peter Downsbrough, „Statement on artists‘ books“, in Art-Rite Magazine, No.14, eds. Walter Robinson and Edit DeAk (New York: Art-Rite Publishing, Winter 1976/1977) 8.