Jojo Gronostay — A Hymn Of Eternal Values

Eröffnung, 15. November 2022, 19 Uhr
Ausstellung, 16. November – 23. Dezember 2022

In welcher Beziehung stehen ehemals kolonisierte Länder Afrikas mit der sogenannten westlichen Welt heute? Wie funktioniert der wirtschaftliche, politische und nicht zuletzt kulturelle Austausch, und wie sind diese unterschiedlichen Sphären miteinander verflochten? Welchen Logiken und Mechanismen ist ein solches Zusammenspiel unterworfen? Jojo Gronostay, der in Deutschland aufgewachsen ist und dessen Vater aus Ghana stammt, setzt sich mit Fragen wie diesen auseinander. Die von ihm gegründete Marke Dead White Men’s Clothes (DWMC) etwa ist sowohl Kunstprojekt als auch Modelabel. Der Name geht auf den ghanaischen Begriff „Obroni Wawu“ zurück, der mit „Kleidung toter Weißer“ übersetzt werden kann. Als in den 1970er Jahren die ersten Ladungen von Second-Hand-Kleidung aus dem globalen Norden als Hilfslieferungen in Ghana eintrafen, war die Qualität der Kleidungsstücke so hoch, dass Ghanaer*innen annahmen, die Vorbesitzer*innen müssten verstorben sein. Seit 2017 kauft Jojo Gronostay gebrauchte Kleidung vom Kantamanto Market in Accra, dem weltweit größten Umschlagplatz für derartige Textilien, um sie mit kleinen Veränderungen wieder in die westliche Mode- und Kunstwelt einzuschleusen.

Mit diesen vielfältigen Transfers lotet Gronostay nicht nur die Zirkulation von Waren, sondern auch die Schaffung von Werten aus. Die von ihm aufgeworfenen gesellschaftspolitischen Fragen, etwa zu Postkolonialismus, Identität und globalen wirtschaftlichen Gefügen, untersucht der Künstler mittels Fotografien, Film, Installationen oder Performances, wobei er stets eine überaus konzentrierte Formensprache anwendet. Mit seiner auf die Architektur des Kunstraum Lakeside bezogenen Setzung A Hymn Of Eternal Values nimmt Jojo Gronostay die Hybridität oder auch Multifunktionalität des von Josef Dabernig für projektbasierte Präsentationen entworfenen Raums auf und setzt damit thematisch an der Schnittstelle von Kunst, Wirtschaft und Technologie an, die die Programmatik des Ausstellungsraums seit seiner Gründung bestimmt. Indem Gronostay eine Art Showroom oder Concept Store mit Schaufensterpuppen und modifizierten Regalen für eine hypothetische Kollektion von Modeaccessoires einrichtet, fordert er die architektonischen Charakteristika des Kunstraum Lakeside, der sich zwischen zurückhaltendem Ausstellungsraum, funktionalem Vortragssaal und Büro positioniert, geradezu heraus.

Hybridität ist aber nicht nur ein Merkmal des Kunstraums. Auch die einzelnen Werke, die Jojo Gronostay in seiner Ausstellung zeigt, sind vom Bruchstückhaften und Fragmentarischen sowie von Momenten der Bricolage und Zusammensetzung geprägt. Allen voran handliche Skulpturen, die sich am Boden des Ausstellungsraums wie kleine Lebewesen ausbreiten. Es handelt sich bei den Kreaturen. V right of the Danube und Kreaturen. Woerthersee (2022) betitelten Objekten, deren Erscheinung auf den ersten Blick an traditionelle afrikanische Skulpturen aus Ebenholz denken lassen, um jeweils zwei miteinander zu einer neuen Figur fusionierten Flakons, die der Künstler anschließend schwarz lackiert hat. Die konstruktivistischen Körper, die an manchen Stellen das unter der Farbe liegende Material durchblitzen lassen, setzen sich aus Klassikern wie etwa Jean-Paul Gaultiers „Le Male“ oder „Classique“ – ein männlicher und ein weiblicher Torso aus Glas – sowie aus Parfumbehältnissen unterschiedlichster Formgebung zusammen. Ergänzt werden die Skulpturen mit deren fotografischen Abbildungen, die in der Mitte auseinander geschnitten und mit weiteren Fotohälften zu neuen, noch abstrakteren Formen montiert wurden.

Ebenso wie sich die Spuren der Düfte, die den Flakons anhaften, beim Zusammensetzen der kleinen Skulpturen mischen, so lässt sich Gronostays bildhauerisches Verfahren generell als eines der Hybridisierung verstehen. Vermeintlich afrikanische Körper treffen sowohl in den Skulpturen wie auch in den Fotografien auf eine spezifisch modernistische Formensprache, die im frühen 20. Jahrhundert in Europa mit Blick auf „Kunst aus Afrika“ als Vorlage ohne Referenz für die eigene Produktion entwickelt wurde. Die Farben der Skulpturen verändern sich mit dem Ort der Ausstellung, denn Gronostay erstellt aus den ehemaligen Lieblingsobjekten von Flakon-Sammler*innen aus der Umgebung des jeweiligen Ausstellungsraums jeweils neue Kompositionen. Klagenfurt hat etwa einen Grauton. Während sich bei den Skulpturen die Flakons willkürlich mischen, stammen die Objekte, die der Künstler für die Fotografien mit dem Serientitel Perfume Portraits (2022) benutzt, von jeweils einer bestimmten Person, deren Initialen im Titel im Stil von A.A, M.D oder Z.D aufgenommen werden. Im Zuge seines Vertiefens und Eingreifens in die Konsumkultur entstehen Porträts der Städte, in denen die Präsentationen stattfinden. Den Blick der Kolonisator*innen aus dem vergangenen Jahrhundert imitierend, nimmt der Künstler Trophäen von seinen Entdeckungsreisen in unbekannte Territorien mit. Mit dem Titel Kreaturen verweist Jojo Gronostay zugleich auf die Modeproduktion und das ihr eigene Vokabular sowie auf die Uneindeutigkeit der von ihm geschaffen Mischwesen. Der Ausstellungstitel A Hymn Of Eternal Values ist zudem der Produktbeschreibung des Calvin Klein-Dufts „Eternity“ entnommen und spielt mit allen Facetten der Bilder und Sehnsüchte, die der Unternehmenssprech aus den Werbeabteilungen bei den Konsument*innen hervorrufen soll.

Als Gegenstücke zu den mehr als fünfzig kleinen Figuren, die den Kunstraum Lakeside bevölkern und dort auch als Gebrauchsgegenstände wie etwa als Buchstützen zum Einsatz kommen, sind zwei partiell schwarz lackierte Schaufensterpuppen in der Auslage zu sehen. Diese androgynen Modelle aus Plastik der Firma Hindsgaul aus den 1990er Jahren, die Hybridität durch ihre Markierung nicht nur über die Hautfarbe, sondern auch auf Ebene der Geschlechter vorführen, tragen Anzüge oder Teile von Anzügen der Marke Dead White Men’s Clothes (DWMC). Dieselben Anzüge sind auch im Video Rejected and accepted greetings (2022) zu sehen, in dem Performer*innen unterschiedliche Berührungen zwischen menschlichen Körpern vorführen, die sich in Zeiten der Pandemie als allgemeine Grußformeln herausgebildet und häufig ihren Ursprung in spezifischen kulturellen Zusammenhängen haben. Beim Anzug handelt es sich um ein Kleidungsstück, anhand dessen Geschichte – vom Gewand der Bourgeoisie, das Macht und Einfluss demonstrieren sollte, über die gleichmacherische Uniform bis hin zu einem Teil, das sich heute in unterschiedlichsten Ausführungen von Fast Fashion zu Haute Couture in beinahe jedem Kleiderschrank befindet – Jojo Gronostay das Zusammenspiel von monetären und symbolischen Werten in einem globalen Zusammenhang illustriert. Die in der Performance zu weltumspannenden Formeln der Kontaktaufnahme geronnenen Beziehungsweisen unterstreichen die Zusammenhänge, mit denen Fragen der Identität im 21. Jahrhundert verquickt sind, einmal mehr.

Jojo Gronostay (* 1988 in Deutschland) lebt und arbeitet in Wien.
www.jojogronostay.com
www.deadwhitemensclothes.com

 

Jojo Gronostay, DWMC – Dead White Men’s Cloths, 2017- | Foto: © Lukas Gansterer