Barbara Kapusta — Solar

Eröffnung, 21. November 2023, 19 Uhr
Ausstellung, 22. November 2023 – 12. Jänner 2024

„Oben und unten, links und rechts bezeichnen nicht bloß körperliche Orientierungspunkte“, schreibt die Philosophin Jule Govrin, „sondern soziale Beziehungen und politische Verhältnisse: Oben und unten kennzeichnen Macht und Ohnmacht, Beherrschung und Unterwerfung. Der Körper wird zur Vorlage für das Herrschaftsverhältnis.“* Ein multidimensionaler, stets vom Körper geleiteter Blick auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge des 21. Jahrhunderts steht im Zentrum Barbara Kapustas künstlerischen Interesses. Dabei entziehen sich ihre Installationen, Videos, Soundarbeiten, keramischen Skulpturen sowie die auf Sprache basierenden Werke eindeutigen Zuschreibungen. In unserem postdigitalen Zustand, in dem die Digitalisierung so weit fortgeschritten ist, dass jeglicher Lebensbereich von Codes durchdrungen wird und sich kein Davor mehr ausmachen lässt, scheint der Körper der letzte Austragungsort zu sein, an dem analoge und digitale Muster aufeinandertreffen.

„In Bezug auf unsere Körper stellt sich die Frage“, so Barbara Kapusta, „wie Politik Druck auf sie ausübt und wie sie sich in die Körper einschreibt. Folgend spielen Technobodies und Überlegungen zu deren Materialität [in meinem Werk] eine Rolle. Wir sind alle Technobodies, selbst- und fremdbestimmt. Wir werden operiert, tragen Prothesen, medikamentieren uns und Hormone sind sowieso überall.“** Aus diesem Interagieren von Körpern mit technischen Fremdkörpern, dem Amalgamieren von distinkten Einheiten zu etwas untrennbar Neuem entstehen Topoi des Technologischen, welche die Künstlerin als Aggregate von Werkzeugen und Prozessen in spekulativen, häufig vom literarischen Genre der Science-Fiction inspirierten Anordnungen untersucht.

In der Videoinstallation Solar (2022/2023) bewegen sich langgezogene, metallisch glänzende Körper langsam und unbeholfen durch eine Landschaft, die von vergangenem Missbrauch gezeichnet ist. Die gesellschaftliche Toxizität etwa einer auf neoliberale Werte wie Leistung, Wachstum und Fortschritt ausgerichteten Wirtschaft, eines extraktiven Kapitalismus und einer daran geknüpften Politik, die dringende Maßnahmen zum Kampf gegen die Klimakrise über Gebühr negiert hat, manifestieren sich hier: In einer durch und durch überhitzten Umgebung ragen die Äste verdorrter Bäume hilflos in den Himmel. In dieser Wüste verliert der Traum vom Einfamilienhaus seinen Verputz, als würde er sich nach einem Sonnenbrand häuten. Darunter eine weitere verbrannte Schicht. Die Erde ist aufgesprungen und rissig. Es gibt keine Spur von Wasser, nur Dürre und Staub. Ein paar wenige Pflanzen sind anpassungsfähig genug, um zwischen den löchrigen Gartenzäunen, bröckelnden Gehwegen und morschen Veranden des einstigen Idylls zu überleben. Das Eigenheim im Grünen wird in Solar zum Sinnbild für eine Gesellschaft der Individualisierung, des Vereinzelns, des Abschließens, die an ihr logisches Ende gekommen ist. Geschlechtslos und gesichtslos streifen die Körper umher. Die Glätte ihrer Oberflächen reflektiert die unwirtliche Umgebung. Sie fungieren wie Spiegel.

In der den gesamten Ausstellungsraum einbeziehenden Installation präsentieren sich vier synchron laufende Videos auf Traversen. Diese metallenen Stützapparate erfüllen eine doppelte Funktion: Sie erlauben einerseits den Besucher*innen, einen stilisierten Blick aus den Fenstern eines Einfamilienhauses auf die nahe Zukunft zu werfen – auf die von der Künstlerin animierte Ruinenlandschaft mit den darin lethargisch umherwandelnden Protagonist*innen. Andererseits scheinen sie dieses Einfamilienhaus, das die Besucher*innen betreten haben, vor dem Einsturz zu bewahren, als temporärer Behelf, bevor der endgültige Verfall einsetzt und auch das letzte Tragwerk bricht. Eine der Figuren aus dem Video, etwas Mehr-als-Menschliches, eine Skulptur, teilt sich den Raum mit den Besucher*innen. Vor einer großen Auslage in Richtung Außenraum positioniert, erzeugt sie eine Situation, die zwischen Beobachten und Beobachtet-Werden changiert. Ein Vexierbild, in dem die Ambiguität der gesellschaftlichen Verhältnisse deutlich wird. Wo beginnt der Kunstraum, wo endet jene Welt, auf die sich die in ihm ausgestellten Bilder und Objekte beziehen? Oder auch: Was ist, was wird imaginiert, was kann nicht gedacht werden?

Als orts- und kontextspezifische Intervention bewegt sich die Ausstellung Solar auf einem schmalen Grat zwischen der Affirmation technologischer Versprechen und der Kritik an einem technizistischen Umgang mit Natur. Die unmittelbare Nachbarschaft zum Kunstraum Lakeside, der zu einem Wissenschafts- und Technologiepark gehört, ist von einer ähnlichen Ambivalenz geprägt, wird doch hier an Anwendungen geforscht, welche neoliberale, der Gemeinschaft nicht zuträgliche, ja umweltschädliche Strukturen unterstützen oder aber ebensolche in eine nachhaltigere Zukunft transformieren können. Der Kunstraum selbst, eine Art Stachel im Fleisch des Technologieparks, öffnet dessen Infrastruktur einer Selbstreflexion und einem Nachdenken über jene Zukünfte, an denen hier gearbeitet werden könnte oder tatsächlich gearbeitet wird.

Solar springt an manchen Stellen in der Bilddramaturgie um und lässt im Video eine Parallelwelt zu den Ruinen erscheinen: eine verdoppelte Welt der Umrisse und Lichtströme, eine Welt bestehend aus umgewandelter Hitze, Bewegung und Energie – eine Welt der Information. Die digital verfremdete, nicht-binäre Stimme aus dem Off spricht im Plural: „we are hosts of motion | heat and energy | 50% of our future is made up | 20% is a possible world | we look fondly at our capacity | a new sensibility for our generosity | is the core | of this community of energy.“ Es sind die langsamen Geschöpfe, die hier zu Wort kommen, menschenähnlich und doch ganz anders. Im Kunstwerk kehren sie für einen Moment in eine Vergangenheit zurück, die sie längst hinter sich gelassen haben. Sie kehren zurück aus ihrer auf Gemeinschaft angelegten Gegenwart, einer Gegenwart der Energie, die über die menschliche Vorstellungskraft hinausgeht. Aus der Perspektive der Betrachter*innen kehren sie aber auch zurück aus einer möglichen Zukunft, unserer Zukunft, eine Vision, die Barbara Kapusta in ihrem Video und allgemeiner noch mit ihrer künstlerischen Praxis heraufbeschwört. Oben und unten, links und rechts – multidimensional und hochpolitisch.

Barbara Kapusta (* 1983 in Österreich) lebt und arbeitet in Wien.
www.barbarakapusta.net

* Jule Govrin, Politische Körper. Von Sorge und Solidarität, Matthes & Seitz, Berlin 2022, S. 58.
** Barbara Kapusta im Gespräch mit Paula Thomaka, „Wir sind alle Technobodies, selbst- und fremdbestimmt“, www.pw-magazine.com/2019/barbara-kapusta-wir-sind-alle-technobodies-selbst-und-fremdbestimmt.

 

Barbara Kapusta, Second (Reclining), 2022 | Foto: Leontína Berková