Joséphine Kaeppelin — Would you rather push the line or cross the line?

Eröffnung, 27. September 2018, 19 Uhr
Ausstellung, 28. September – 2. November 2018

Systeme und Systematiken, programmierte Umgebungen und Standards sowie das allgegenwärtige Phänomen der Automatisierung als gesellschaftliche Triebfeder sind Ausgangspunkt für Joséphine Kaeppelins künstlerische Praxis. Sie setzt mit ihren Recherchen in technologischen, sozialen und visuellen Arbeitszusammenhängen an und untersucht mit grafischen Mitteln wie auch mit interventionistischen Methoden, welche Rolle der Mensch im Zusammenspiel von Maschinen, Ordnungsprinzipien und Kontrollmechanismen einnimmt: Welche Strategien wenden wir an, um uns an Systeme anzupassen und wie wirken diese Systeme auf uns ein? Welche Gesten haben wir uns antrainiert, um automatisierte Prozesse zu verarbeiten und wie bestimmen diese Prozesse unser Verhalten? Lassen sich aus der Systematik, mit der wir mit Maschinen interagieren, Methoden und Verfahren der Bedeutungsproduktion auslesen?

Innerhalb ihres Handlungsfeldes an der Schnittstelle von analytischer Recherche und visueller Kunst mit Schwerpunkt auf Zeichnung, Druckerzeugnisse und von ihr selbst als „partizipative Displays“ bezeichnete Setzungen definiert sich die Künstlerin als „Intellectual and Graphic Service Provider“. Indem Kaeppelin etwa Default-Einstellungen, vordefinierte Formatvorlagen und die Fehlerhaftigkeit/Fehlerlosigkeit handelsüblicher Büro-Software benutzt, um ihr Bildmaterial und sonstige künstlerische Formen zu generieren, unterwandert sie nicht nur den eigentlichen Gebrauch dieser Maschinen, sondern auch das System der Kunst. Die Formensprache des Arbeitslebens und die Strenge der Büroästhetik tragen zur Konstruktion Kaeppelins partizipativer Installationen bei. Durch Aneignung, Mimikry und Überaffirmation unterwandert sie die neoliberalen Praktiken des Selbst und macht sie für ihr eigenes Schaffen fruchtbar – ohne dabei den Mensch aus dem Blick zu verlieren.

In der Ausstellung Would you rather push the line or cross the line?, die Joséphine Kaeppelin eigens für den Kunstraum Lakeside entwickelt hat, fasst die Künstlerin ein langfristig angelegtes Rechercheprojekt zusammen, das sie gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen eines Druckfarbenerzeugers namens Siegwerk in Annemasse in Frankreich entwickelt hat. Über mehrere Monate hinweg hat Kaeppelin immer wieder den Arbeitsalltag der Angestellten und Arbeiter*innen mit Gesprächen, Spielen, Fragebögen und auf Partizipation angelegte Settings begleitet und diesen offen gehaltenen Prozess dokumentiert. „In der Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter*innen von Siegwerk“, so die Künstlerin über ihr Eingreifen in die betrieblichen Zusammenhänge, „ging es mir darum, Wege zu finden, um Personen in ihrer Routine zu stören und zu unterbrechen und eine notwendige Pause zu schaffen, um über uns selbst, unsere menschlichen Bedingungen und nicht zuletzt unsere Handlungsweisen innerhalb der sozio-professionellen und technischen Strukturen, in denen wir leben und arbeiten, nachzudenken.“

Durch die Instrumentarien, die Kaeppelin benutzt, um Störmomente zu erzeugen, eine Glücksrad etwa (La roue de la fortune, 2018), ein Spiel mit Holzklötzen (Que fais-tu dans la vie ?, 2018) oder ein absurdes Geduldspiel (puzzle noir, 2012), stellt sie Fragen danach, in welchem Zusammenhang wir uns befinden: Mit welchen Bedingungen und Voraussetzungen haben wir es gerade zu tun? Haben wir oder haben wir keine Wahlmöglichkeiten und schöpfen wir das Potenzial, das vor uns liegt, aus? Den Personen, mit denen Kaeppelin arbeitet, räumt sie die Möglichkeit ein, gedankliche Freiräume zu nutzen, um in einer selbstreflexiven Schleife ganz persönliche Antworten auf solche Fragen zu finden. Auf sich selbst zurückgeworfen sah sich etwa auch der Steinschnitzer Roger Gorrindo, den die Künstlerin 2014 bat, „den inneren Wert“ seiner Arbeit in Worte zu fassen und die bekannte Formel „Made with …“ um seine Reflexionen zu ergänzen. Einige Wochen nachdem der Steinschnitzer die Aufgabestellung erhalten hatte, antwortete er mit seiner eigenen Arbeit, einem handgravierte Kalkstein, auf dem die Inschrift „Made with poïein“ zu lesen ist. Das griechische Verb, das „machen, erschaffen“ bedeutet, transportiert die Idee einer Geste, die aus freien Stücken vollbracht wird. „Die Freiheit des Handelns, der Wille des Machens“, wie die Künstlerin das Ergebnis des von ihr initiierten Prozesses formuliert.

Joséphine Kaeppelin beschreibt ihren Status als den eines „Intellectual and Graphic Service Provider“, eine Methode, die es der Künstlerin nicht nur erlaubt, ihre bestehenden grafischen Arbeiten mit ihren Eingriffen in Arbeitszusammenhänge zu verknüpfen. Als Anbieterin von Dienstleistungen schafft sie darüber hinaus eine eigenständige Struktur, einen Arbeitszusammenhang, der genau jenen Voraussetzungen und Bedingungen, die die Künstlerin untersucht, mit denselben Mitteln und somit auf Augenhöhe begegnet.

Joséphine Kaeppelin (* 1985 in Frankreich) lebt und arbeitet in Brüssel.
www.josephinekaeppelin.com

 

Joséphine Kaeppelin, Audit Siegwerk, 2018