Eröffnung, 24. September 2024, 18 Uhr
Ausstellung, 25. September – 15. November 2024
Lange Nacht der Museen, 5. Oktober 2024, 18–24 Uhr
Dušan Barok / Monoskop mit: Aymeric Mansoux and Delisa Fuller / permacomputing.net; Cristina Cochior / Varia; Ellef Prestsæter and Michael Murtaugh / Institute for Computational Vandalism; Femke Snelting / The Institute for Technology in the Public Interest (TITiPI); Karin Nygård; Marcell Mars and Tomislav Medak / Memory of the World
Digitale Artefakte auswählen, sammeln und bewahren, Informationen bewerten, kompilieren und beschlagworten, vernetzen, Räume schaffen und Plattformen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. All dies gehört seit langem zur künstlerischen wie wissenschaftlichen Praxis von Dušan Barok. So ist Monoskop „Teil von Google und anderen Suchindizes und trägt dazu bei, Menschen, Ideen und Dinge in den Fokus zu rücken, ihnen Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen“, so der Künstler und Netzaktivist zu der von ihm seit 2004 betriebenen Recherche- und Bibliotheksplattform. Mit der Entscheidung, Öffentlichkeit zu nutzen und herzustellen ist dem Künstler zufolge die Verantwortung verbunden, „das Unbekannte, das Nicht-Prominente oder auch das Dringende aufzudecken, neue Beziehungen und Kontexte zu schaffen, Blasen zum Platzen zu bringen.“1
Für den Kunstraum Lakeside kreiert Dušan Barok, der sich als Künstler, Forscher und Provider mit digitaler Kultur, Gedächtnisforschung sowie Aktivismus beschäftigt, eine Situation, in der vom Ausstellungspublikum zentrale Fragen rund um gerechtere Zugänge zu Informationen verhandelt werden können. Seine Installation, die ebenso gut als Setting für ein Seminar oder eine Leserunde fungieren könnte wie sie als skulpturale Form im Raum steht, stellt Publikationen und Kataloge sowie Filme und andere Ressourcen für eine vertiefte Auseinandersetzung zur Verfügung.
Vier Textkonvolute von Webpages mit Verbindung zu Monoskop liegen ausgedruckt auf Tischen und geben Einblick in den gegenwärtigen Kontext der Plattform. Es handelt sich dabei, so Barok, um „künstlerische Auseinandersetzungen mit vernetzter Technologie jenseits der Mainstream-Social-Media und der Computerindustrie, die auf der Extraktion persönlicher Daten und der geplanten Obsoleszenz digitaler Geräte basiert“. Die Textsammlung Everything Is Temporary imaginiert eine mögliche Zukunft des vom amerikanischen Künstler Kenneth Goldsmith bis 2024 betriebenen UbuWeb. Diese Schattenbibliothek macht hunderttausende Avantgarde-Artefakte, die aus unzähligen, verstreuten Sammlungen stammen, ungeachtet von Besitzverhältnissen oder der Einholung von Wiederveröffentlichungsgenehmigungen an einem zentralen Ort zugänglich. Das Buch Infrables: The Cloud is not an Option beschreibt entlang ausgewählter Anekdoten die extraktivistischen Praktiken großer Technologieunternehmen wie Amazon und Facebook, die soziale Medien und digitales Hosting als Dienstleistung anbieten, und regt dazu an, sich unsere Präsenz und soziale Interaktionen im Internet auch in anderer Form vorzustellen. Permacomputing wiki entstand aus einer Gemeinschaft, die mittels von der Permakultur inspirierten Praktiken zu einer nachhaltigeren Interaktion mit Computer- und Netzwerktechnologien aufruft. Die Publikation A Traversal Network of Feminist Servers ist schließlich ein Projektbericht, der Initiativen und Workshops zum Aufbau und Betrieb feministischer Servernetzwerke präsentiert.
All diese Textsammlungen und Veröffentlichungen, die sich in Form und Ansprache stark unterschieden, werden als Arbeitsexemplare für die Besucher*innen des Kunstraum Lakeside, diesem temporären Knotenpunkt in einem Netzwerk informeller Bibliotheken, bereitgestellt. Da sämtliche Werke unter freien Lizenzen veröffentlicht wurden, können sie von anderen fortgeführt werden. Die bereitgestellten Schreibstifte regen dazu an, die Materialien noch in der Ausstellung mit Notizen, Kommentaren oder Zeichnungen zu versehen. Auf Monitoren laufen Gespräche und Präsentationen zu den vier Konvoluten sowie deren Aufgabe, über die Quellen ihrer zur Verfügung gestellten Inhalte zu informieren und somit auch die Zugänge kollektiven Publizierens in einem digitalen Umfeld zu beleuchten, das bewusst außerhalb der Cloud operiert. In diesem Zusammenhang ist es, so Barok, nicht unerheblich, dass „die vier Publikationen von den Kollektiven im Web selbst gehostet werden und in dieser Ausstellung nun auch physisch ‚zu Gast‘ sind.“
Auf einem weiteren Bildschirm zeigt Dušan Barok eine Webpage des Institute for Computational Vandalism & Karin Nygård: Während der Psychiater und Kybernetiker Warren Brodey aus seinem Buch Earthchild vorliest, sind parallel am Screen seine originalen, über die Jahrzehnte hinweg hinzugefügten Annotationen auf den Buchseiten zu sehen und zu lesen. „Earthchild schildert eine Welt, wie wir sie heute kennen. Zugleich führt es uns vor Augen, dass unsere gegenwärtigen Netzwerke, Schnittstellen und künstlichen Intelligenzen auch ganz anders gestaltet sein könnten“,2 so Nygård & Prestsæter. Mit der Wiederaufnahme von Earthchild einschließlich der Annotationen und mündlichen Kommentare von Brodey wollen die beiden das Buch nicht als ein historisches Dokument, sondern als „Zeitschleife und ein Buch, an dem Brodey immer noch schreibt“3 verstanden wissen, eine Art Hypertext, der sich ins Unendliche fortsetzen ließe.
Lange Papierbögen, die Fragestellungen aus den Büchern und Videos aufgreifen, durchziehen den Kunstraum. Weiterführende Infos und Quellen zu Themen wie Schattenbibliotheken, Cyberfeminismus, Gemeinschaftsserver oder Fediverse sind darauf angeführt. Damit verräumlicht Dušan Barok die zentralen Funktionen von Monoskop als Wiki, Bibliothek und Katalog. Mit diesen Formaten geht zudem eine andere Art des Schreibens einher als die ansonsten in Büchern oder Artikeln übliche. Zwar ist dieses Schreiben in seiner Abfolge von Zeichen nach wie vor linear, doch öffnet es sich mit den weiterführenden Links sowie steten Aktualisierungen und Ergänzungen auf sowohl räumlicher als auch zeitlicher Ebene. Das Buch als konstante Einheit von Wissen wird abgelöst von anderen Einheiten, deren Autor*innenschaft nicht mehr eindeutig konkreten Personen zugeordnet werden kann. Wie grundlegend diese Transformation ist, die sich spätestens seit der Popularisierung des World Wide Webs Ende der 1990er Jahre vollzieht, wird deutlich, wenn man sich, wie Barok vorschlägt, den Unterschied zwischen einer Bibliothek und einer Suchmaschine vorstellt, „die in einem von der Logik eines Index und der Mechanik von Bots bestimmten Bereich operiert“, oder auch zwischen einer Bibliothek und einer „Content-Farm in einer Welt, in der der einzige Inhalt, auf den es ankommt, entweder aus einem riesigen Datensatz oder einem viralen Informationshäppchen besteht.“
Und noch weitere Anwendungsformen von Monoskop werden in den Ausstellungsraum übertragen. So gibt es etwa die Möglichkeit, Baroks Installation digital zu „spiegeln“, d.h. die Besucher*innen können mittels angebotener Schnittstellen Kopien des präsentierten Materials sowie weiterführende Ressourcen herunterladen und auf ihren eigenen Geräten nutzen. Eine Version des Projekts Exhibition Library beinhaltet wiederum eine Sammlung von Katalogen zu imaginären Ausstellungen, die Barok 2018 unter Beteiligung von 40 Personen und Kollektiven für die Seoul Mediacity Biennale schuf und danach Eingang in das Archiv von Monoskop fand.
In ihrer Gesamtheit bietet Dušan Baroks Ausstellung Read Write Run mit seinen vielfältigen Transfers und Remediatisierungen die Möglichkeit, nicht nur spannende Einblicke in die Themen und Funktionsweisen von Monoskop zu bekommen, sondern auch aktuelle Veränderungsprozesse an der Schnittstelle digitaler und analoger Welten im Spiegel ausgewählter Projekte zu reflektieren. Dušan Barok hosted in Read Write Run Initiativen, die, von den Rändern kommend, Alternativen zum Status Quo eines kommerzialisierten und warenförmigen Internets aufzeigen und damit Verantwortung für unsere Welt im Kleinen wie im Großen übernehmen. Das Potenzial für die Vervielfältigung derartiger Entwürfe ist vorhanden. Es liegt nun auch bei den Besucher*innen des Kunstraum Lakeside, den Ball aufzunehmen und den Ausstellungstitel wörtlich zu begreifen: Read Write Run ist dem Künstler zufolge „ein Verweis auf die von der Systemadministration erteilten Berechtigungen für die Arbeit mit einer bestimmten Datei. Die Berechtigung ‚Read‘ bedeutet, dass Sie den Inhalt der Datei ansehen können. Die Berechtigung ‚Write‘ bedeutet, dass Sie die Datei ändern können. Die Berechtigung ‚Run‘ schließlich heißt, dass Sie die Datei als Programm ausführen können.“
In diesem Sinne: Read! Write! Run!
Dušan Barok (* 1979 in der Slowakei) lebt und arbeitet in Oslo und Bratislava.
www.monoskop.org/Dušan_Barok
www.monoskop.org
1 Dusan Barok, „Interview with: Dušan Barok“, in: The Library is Open, Sonderausgabe, Nr. 09, Rotterdam: Piet Zwart Institute, 2019, S. 70, https://monoskop.org/File:The_Library_Is_Open_2019.pdf.
2 Karin Nygård & Ellef Prestsæter, „Warren Brodey: Earthchild – A Time Journey“, https://www.guttormsgaardsarkiv.no/program/event-two-pytr7-jeefb-k7m8x-e25h8-c798k-ckmrm-k7yy2-49wra-xmph8-7c6fn-45xtg.
3 Ebd.
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