Maruša Sagadin — Dicke Haut, trotzdem ist mir kalt

Eröffnung, 11. Februar 2025, 18 Uhr
Ausstellung, 12. Februar – 21. März 2025

In ihrer künstlerischen Praxis beschäftigt sich Maruša Sagadin mit Skulptur und Fragen zu Raumkonzeptionen. Mit ihrem Hintergrund in Bildhauerei und Architektur eröffnen ihre Arbeiten immer auch Diskurse zu kollektiven Räumen. Bei Dicke Haut, trotzdem ist mir kalt geht es um Orte, die uns im alltäglichen Leben begegnen. Sagadin erforscht, wie durchlässig solche Räume sind, und hinterfragt ihre Benutzbarkeit und Funktion. Sie stellt gemeinschaftliche Orte wie Straßenkreuzungen oder Infrastrukturen des öffentlichen Lebens in einen erweiterten Kontext, der gewohnte Wahrnehmungsmuster durchkreuzt. Diese an feministischen Lesarten der Raumproduktion angelehnte Methode nutzt metaphorische Brüche, um starre Kategorien aufzubrechen und hegemoniale Strukturen für Interventionen zugänglich zu machen. In Sagadins Arbeiten vermittelt sich diese Herangehensweise durch eine gewisse Ambiguität, sei es in der Materialität, Sprache oder Farbwahl.

Ausgehend von früheren Überlegungen in Sagadins Werk über das Potenzial, das Orten oder Infrastrukturen des Alltags wie Bänken oder Gehsteigkanten* innewohnt, konzentriert sich die neue Ausstellung im Kunstraum Lakeside auf das Medium Papier im öffentlichen Raum, konkret auf Werbeplakate. Mit Werbeplakaten, die übermalt, zusammengeklebt und an den Rändern mit Alufolie verstärkt sind, bringt die Künstlerin das Papier in eine feste Form. Das Papier imitiert dann, wenn es aufgehängt, aufgerollt oder gefaltet wird, Strukturen wie Jalousien, Vorhänge oder Paravents – Flächen, die Räume schützen, verdecken, unterteilen oder schmücken. Im Wechsel zwischen Fläche, Raum und Abstraktion erkundet die Künstlerin die verschiedenen Dimensionen des Skulpturalen. Papier ist ihr Material, das durch übereinander aufgetragene Schichten aus Lack und weiteren Papieren entsteht. Sie arbeitet mit Elementen des Minimalismus, spielt mit Volumina und strukturhaften Formen, die mittels eines pastosen und reliefartigen Farbauftrags und durch das wiederholte Falten beim Auftragen von Papier und das Pigmentvolumen gestaltet werden. Die Farbwahl – von Gelb zu leuchtendem Blau und Violett bis zu Schwarz – spiegelt den urbanen Raum und seine Subkulturen wider. Sagadins skulpturale Faltobjekte stellen eine visuelle Verbindung zwischen Architektur und Design her, indem sie klare Linien und geometrische Formen im Raum zeichnen. Papier wird somit zu einem vielseitigen Medium, das weit mehr ist als nur ein Träger von Informationen. Es wird zu einem eigenständigen Objekt: Die großen, ausdrucksstarken Faltungen und Biegungen bieten neue Deutungsmöglichkeiten. Die Falttechniken verleihen dem Papier eine plastische, haptische Qualität, die dazu anregt, über den funktionalen und ästhetischen Wert von alltäglichen Materialien nachzudenken.

Ebenso lässt sich Sagadins Umgang mit Papier als Blick auf Fehlfunktionen oder Störungen verstehen, da das Material durch Faltung, Zerreissen und Umgestaltung seine ursprüngliche Funktion und Bedeutung verliert. Ähnlich wie der Glitch in einem digitalen System wird das Papier seinem gewohnten Kontext enthoben und in eine neue, unerwartete Form transformiert. „Fehler bringen neue Bewegung in statische Räume; durch diese Bewegung ist ein Fehler schwer zu erkennen, seine Störung dafür allgegenwärtig.“** Durch seine rechteckig abgeteilten Flächen erinnert Walls (2022) an eine Daunenbettdecke oder gepolsterte Wand, die Töne, Stimmen und Geräusche verschlucken könnte. Bauschig und weich, mit einer Ähnlichkeit zu den Arbeiten von Alina Szapocznikow, setzt auch hier der für Sagadin bekannte Tenor von Übertreibung und Humor an. „Sie ermutigen die Nutzer:innen, eine persönliche Reaktion zu entwickeln und auszuloten, wie sich ihre gelebten Erfahrungen und ihre jeweils unterschiedlich gearteten und geformten Körper zu diesen Formen und Umgebungen verhalten.“*** Es sind diese kleinen Widersprüche und Ungereimtheiten in ihren Arbeiten – Bühnen ohne Funktion, Dächer mit Löchern oder untragbare Requisiten –, die den Besuch der Ausstellung zu einem performativen Erlebnis machen, an dem die Besucher*innen selbst teilhaben können. Die Arbeiten zu berühren, mit ihnen zu verschmelzen und somit Raum einzunehmen, gehört für Sagadin untrennbar zum Kunstwerk. Diese Transformation bricht mit den normativen Erwartungen an Papier als informative Oberfläche und überführt es in eine skulpturale, fast performative Rolle. Mit dem feministischen Ansatz, die Durchlässigkeit von Kategorien, von Räumen oder auch Zuschreibungen aufzudecken und festgeschriebene Zuordnungen zu hinterfragen, sind hier also auch kollektive und performative Aspekte des Störens gemeint, die queeren und feministischen Identitäten Räume erschließen. In diesem Sinne initiieren Sagadins skulpturale Arbeiten einen kollektiven Dialog zwischen Material, Raum und Betrachter*in. Das Papier und die derart umgewerteten Objekte nehmen Bezug auf Bewegungen und Veränderungen im urbanen Raum, sie fungieren als Akte der Transformation. Analog zu Legacy Russells Glitch Feminismus, wo Identitäten und Konventionen neu verhandelt werden, fordert uns die Künstlerin auf, gewohnte Sichtweisen auf alltägliche Materialien und urbane Strukturen zu überdenken.

Sagadins Arbeiten kommunizieren dies vor allem durch Mehrdeutigkeit: in ihrem materiellen Erscheinungsbild, in ihrem Gebrauch von Sprache, in ihren Farben. Mit Körperformen wie Nasen und Augen verdeckt die Künstlerin einerseits die für die Stabilität nötigen Schrauben und Nähte, betont diese zweckmäßigen Stellen aber gleichzeitig in postmoderner Faszination, indem sie sie mit Bausteinen wie Spiralen oder Scheren sichtbar hervorhebt. Diese Elemente, die die Künstlerin als „Props“ bezeichnet, scheinen zwar auf den ersten Blick nur flüchtig an den Papieren angebracht, wie lose Hilfsmittel, in Wirklichkeit sind sie jedoch fest mit den Arbeiten verbunden. Humor und Übertreibung sind wichtige Stilelemente in ihren Installationen. Sie kehrt das Große ins Kleine und umgekehrt und kratzt mit ihren Materialexperimenten an den Grenzen zu Verwundung und Ekel. Die großen Tropfen an den Innen- und Außenseiten der Fensterscheiben, Drop (blue) und Drop (red) (2023), erinnern an Pilze; mit ihrer brüchigen, zerfurchten Oberfläche lassen sie an die Anatomie von Herzen oder im Falle des roten Tropfens an einen ausgeweideten Kadaver denken, während sie doch einfache Vergrößerungen von typischen Requisiten aus Sagadins Fundus an Formen sind.

Die Künstlerin nutzt den Fehler also nicht nur als visuelle Störung, sondern als Konzept, das auf symbolische Weise die Komplexität und Brüche der heutigen Welt widerspiegelt. Indem Maruša Sagadin den Glitch als ästhetisches Prinzip in ihre Arbeit integriert, weist sie die Betrachter*innen auf das unbeständige, fluide Wesen der Wahrnehmung hin und lässt sie die Welt als einen Ort ständiger Veränderung und Unsicherheit begreifen.

In Zusammenarbeit mit sowie Text von: Marie Oucherif
Lektorat: Leonie Pfennig / Christine Schöffler & Peter Blakeney

Maruša Sagadin (* 1978 in Slowenien) lebt und arbeitet in Wien.
www.sagadin.at

* Vgl. Marie Oucherif (Hg.), Maruša Sagadin. Luv Birds in toten Winkeln, Dortmund: Verlag Kettler, 2023.
*** Legacy Russell, Glitch Feminismus. Ein Manifest, übers. v. Ann Cotten u. a., Leipzig: Merve, 2021, S. 70.
*** Persilia Caton, „Warm Hands, Warm Bench“, in: Maruša Sagadin. Wet Feet, hg. v. Alenka Gregorič, Ausst.-Kat., Ljubljana: Museum and Galleries of Ljubljana/Cukrarna Gallery, 2022, S. 17.

 

Maruša Sagadin, Luv Birds, Blind Bees, 2024 | Courtesy die Künstlerin