Katrin Hornek — Latent Soils

Eröffnung, 30. September 2021, 19 Uhr
Ausstellung, 1. Oktober – 5. November 2021

Katrin Hornek situiert ihr Werk innerhalb der vielfältigen Verflechtungen, die das Leben im Anthropozän bestimmen. Ausgehend von konkreten Orten und Stoffen kombiniert sie deren Geschichten mit gefundenen materiellen wie immateriellen Formen. Damit macht sie die unauflösbaren Verschränkungen zwischen Kultur und Natur, menschlichen und nichtmenschlichen Akteur*innen sowie langfristigen Prozessen und punktuellen Ereignissen potenziell erfahrbar. In ihren bisherigen Werken geht sie etwa den vielfältigen Transformationsprozessen von Erdöl nach, wobei sie innerhalb ihrer performativen Setzungen unterschiedliche Perspektiven und zeitliche Horizonte gleichberechtigt nebeneinander stellt. Sie sucht nach künstlerischen Settings, die das schiere Ausmaß an kapitalgetriebenen, geologischen Materialverschiebungen seit Beginn des 21. Jahrhunderts erahnen lassen. Oder folgt im Rahmen des Forschungsprojekts The Anthropocene Surge (2018–2022) der Transformation physischer Materialproben zu Datensätzen und damit den vielfältigen Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen den analogen und digitalen Ablagerungen. Für den Kunstraum Lakeside greift die Künstlerin noch weitere menschliche Eingriffe in den Erdkörper auf, um mittels Verdichtungen und Konkretisierungen Bilder möglicher Vergangenheiten, Gegenwarte und Zukünfte entstehen zu lassen.

Im Zentrum der Ausstellung Latent Soils steht der modifizierte, der künstliche Boden Wiens, der von Wissenschaftler*innen seit geraumer Zeit beforscht wird. So veröffentlichte Eduard Suess 1862 eine geologische Karte Wiens, in der nicht nur die natürlich entstandenen geologischen Schichten vermerkt waren, sondern auch die massiven Anhäufungen, die im Lauf der zwei Jahrtausende umfassenden Siedlungsgeschichte entstanden sind. Rund 140 Jahre bevor der Begriff des Anthropozäns geprägt wurde, um jenes Zeitalter zu benennen, in dem Menschen maßgeblich auf die geologischen, atmosphärischen und biologischen Prozesse auf der Erde einwirken, machte also bereits die Vermessung der Wiener „Schuttdecke“ durch den Begründer der Wiener geologischen Schule erstmals den menschlichen Faktor bei der Formung geologischer Schichten sichtbar.

Katrin Hornek verwendet für Forschungszwecke gewonnene und in archäologischen und geologischen Archiven aufbewahrte Daten als Ausgangspunkt für ihre Installation. Diese bieten Blicke zurück in die Vergangenheit, jedoch nie einen Überblick über den Status Quo. Denn das wissenschaftliche Erfassen des Wiener Grunds dient meist dessen Transformation: Die Stadtarchäologie tritt etwa dann in Aktion, wenn bei Bauarbeiten die Überreste menschlicher Aktivitäten zu Tage treten, und geologische Bohrkerne werden gesichert, um Bauherren Auskunft über statische Maßnahmen zu geben und sie bei potenziellen Schadensfällen abzusichern. Die Künstlerin versteht diese umfangreiche Ansammlung von punktuellen Informationen als „Datenlandschaften“, die sich gleichsam parallel zu den von ihnen festgehaltenen Phänomenen erstrecken. Auch die Böden selbst speichern wie Apparate ihre eigenen Modifikationen. Sie funktionieren wie die Aufnahmen von urbanen Transformationsprozessen, an denen unterschiedlichste Agent*innen – menschliche, tierische, von der Witterung abhängige oder jene der Technosphäre – beteiligt sind.

Mit Latent Soils lotet Hornek das „Potenzial sinnesbasierter Praktiken“ aus, wie es die Künstlerin selbst ausdrückt. Ihr geht es dabei nicht nur darum „die sich neu bildenden Archive des Anthropozäns rational zu erfassen“, sondern Formate zu schaffen, die es den Rezipient*innen ermöglichen, „sie zu imaginieren, zu fühlen und sich mit ihnen zu verbinden“. Es gilt diesem, so Hornek, „schwer zugänglichen, komplexen, sich ständig verändernden künstlichen Boden der Stadt einen Körper zu geben“. Diese raum-zeitliche Entität entsteht in der Rezeption von Latent Soils, wobei die einzelnen Teile der Ausstellung unterschiedliche Zugänge und Annäherungen erlauben.

Worte wie „Knochen | Betondecke | Kalkeinlagen | gel | hellgrau | Wurzelreste | bunt | Grasnarbe | kantig | rostbraun | Ziegelresten | brüchig | Glasscherben | rund) | 100mm | Holzstücke | hellbraungrün | erdig | fest | steif | nan | Metall | Hausmüll | 50mm | 5,00 % | lehmiger“ sind in einer Videoinstallation zu lesen und im ganzen Raum zu hören. Es handelt sich um sämtliche Wörter, die bisher im Bohrkernkataster der Stadt Wien verwendet wurden, um den von Menschen modifizierten Boden von Wien seit 1831 zu erfassen. Die 87.963 Materialeinträge wurden – inklusive Fehler, Beschreibungsvarianten, Abkürzungen und Kombinationen mit Satzzeichen – nach ihrer Häufigkeit gereiht und in einer achtstündigen Session von der Performerin Sabina Holzer eingelesen. Die lange Liste an Benennungen und das allmähliche Ermüden der Stimme machen das Ausmaß der menschlichen Eingriffe fassbar. Unterschiedliche Schreibweisen von einzelnen Begriffen machen darüber hinaus deutlich, dass sich der Bohrkernkataster der Arbeit einer Vielzahl von Personen über einen langen Zeitraum und somit kollektiver Autor*innenschaft verdankt. Der am häufigsten verwendete Begriff dabei ist „Ziegel“, das wichtigste anorganische Baumaterial der Stadt seit den Römern. An zweiter Stelle steht bereits Beton, der in Wien erst seit dem 19. Jahrhundert in Gebrauch ist – ein Hinweis darauf, wie rasant sich die Umformung der Erdoberfläche in letzter Zeit beschleunigt hat.

Während die Videoinstallation gänzlich auf Worte fokussiert, ist auf fünf liegenden Monitoren Bildmaterial zu sehen, das aus der Datenbank der Wiener Stadtarchäologie stammt. Diese ursprünglichen Fotos dokumentieren die stete Umstrukturierung des Bodens der Stadt und sind somit zentral für das visuelle Erfassen der damit einhergehenden massiven Transformationsprozesse. Die Künstlerin ließ tausende Bilder aus dem archäologischen Archiv der Stadt in den StyleGAN-Generator der Plattform Runway einspeisen, der daraus neue Bilder generierte. Style Generative Adversarial Networks (kurz StyleGAN) lernen anhand riesiger Datenmengen die Parameter von Bildtypen, um darauf aufbauend neue Bilder zu schaffen. Fotografische Aufnahmen von realen Menschen oder Landschaften können so neue Darstellungen mit großer, visueller Überzeugungskraft hervorbringen. Hornek nutzt diese Deep-Learning-Algorithmen, um Bilder dessen entstehen zu lassen, was (noch) nicht ist. Aneinandergereiht zu Filmen, bewirkt die ständige Transformation der Bilder, dass wir den festen Boden unter uns als geformt und unstatisch wahrnehmen können. Anders als das Material, das in den Archiven der Stadt bewahrt wird, erfassen die Bilder der StyleGANs nicht Vergangenes, sondern schaffen durch Rekombinationen einen Raum von Möglichkeiten. Sie werfen somit einen Blick auf eine von unzähligen, möglichen Zukünften.

Katrin Hornek überführt dieses Potenzial zurück in den analogen Raum, indem sie digitale Objekte, die im Prozess der synthetischen Bilderzeugung geschaffen wurden, als Skulpturen analoge Gestalt annehmen lässt. Latent Soils ermöglicht im Kunstraum Lakeside, die Formung des Grunds – in den Worten der Künstlerin – „auf molekularen und planetarischen Skalen, durch multiple Agent*innen und Kräfte in einem Zusammenspiel von menschlichen und nichtmenschlichen Anteilen“ zu begreifen. Begreifen bedeutet in diesem Zusammenhang weniger ein rationales Erfassen als das Gespür für Größen und Zeitspannen.

Katrin Hornek (* 1983 in Österreich) lebt und arbeitet in Wien.
www.katrinhornek.net

 

Katrin Hornek, A Landmass To Come, 2020 | Foto: Kristine Madjare

 
 
Projekt- & künstlerische Leitung: Katrin Hornek
Produktion & künstlerische Begleitung: TE-R
Sprache: Sabina Holzer
Grafik: Katarina Schildgen
Text: Bohrkerndaten des Magistrates für Wiener Brücken und Grundbau, geordnet durch Kira Lappé

Mit herzlichem Dank an:
Martin Mosser (Stadtarchäologie Wien)
Kira Lappé, Christine Jawecki (MA 29 – Brücken- und Grundbau)
Bruno Szenk

Mit finanzieller Unterstützung von:
WWTF